Posts Tagged ‘Tod’

Johannes 3. Geburtstag

14. August 2013

Johannes wäre heute drei Jahre alt geworden. Vermutlich wäre er ein stolzes fast-Kindergartenkind. Vielleicht wäre er auch schon in die Kleinkindgruppe gegangen. Wenn man eine große Schwester hat, die jeden Tag in den Kindergarten gebracht wird, drängelt man vielleicht so lange, bis man auch endlich „darf“. Aber all das ist nur Grüblerei. Johannes ist nicht mehr da.

Der Tag heute war für mich sehr schwer und ich bin froh, dass er vorbei ist. Ich saß gestern abend noch lange bei Johannes am Grab und habe geweint. Eine fremde Frau setzte sich zu mir und tröstete mich. Das hat mich sehr berührt, denn das ist mir noch nie passiert. Es ging mir einfach so viel durch den Kopf. Drei Jahre zuvor war Johannes noch in meinem Bauch und ich so voller Vorfreude. Dem vollendeten Glück eine Geburt weit entfernt. Ohne zu wissen, was für eine Lawine da schon lange im Rollen ist.

Mein Leben hat sich sehr verändert. Es ist völlig anders, als es mal war. Nicht alles daran ist schlecht. Sicher nicht. Nein, es gibt sogar Dinge, die sind richtig, richtig gut. Ich lerne da ganz neue Seiten an mir kennen. Aber vielleicht wäre ich lieber in meinem alten Leben ohne erweiterten Horizont, mit allen drei Kindern – gesund – geblieben. Aber die Wahl hatte ich nicht.

Wir haben heute sicher das beste aus dem Tag gemacht. Letztes Jahr haben wir uns nicht zugetraut, ihn alleine gut zu überstehen und mit Verstärkung der Verwandtschaft und engen Freunden die Wanderung gemacht. Dieses Jahr wollten wir alleine sein. Sehen, ob wir das auch alleine hinbekommen. Heute morgen saß ich da, weinte, und hielt mich an meiner Tasse Kaffee und natürlich dem Löwenpapa fest. Ich konnte mir nicht gut vorstellen, den Tag halbwegs gut hinter mich zu bringen. Jetzt ist er vorbei und ich bin froh.

Wir haben heute einen Ausflug in eine Tropsteinhöhle gemacht. Die Frau, die die Führung durch die Höhle gemacht hat, zeigte uns einen Tropfstein, der aussieht wie eine mehrstöckige Geburtstagstorte. Die habe ich für Jo fotografiert.

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Ich habe gestern aber auch einen „richtigen“ Kuchen für ihn gebacken, den wir heute Nachmittag gegessen haben.

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Johannes hatte an sienem Grab aber auch Besuch und von seinen Geschenken habe ich ein paar Bilder gemacht.

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Das hier hat er von uns bekommen. Johannes hatte ein WinniePooh-Stehaufmännchen, das klinklonk macht. Das hat er sehr gerne angeschaut. Das mochte er richtig gerne. Auf seinem Grab hat er den Esel davon als Sternenfänger mit einem Netz. Sein Geschenk haben wir in Dänemark im Urlaub gefunden und es paßt perfekt dazu.

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Kleiner Stinker, ich weiß nicht, wie man im Himmel Geburtstag feiert. Aber ich hoffe, Du hattest ein sehr schönes fest. Ich war heute sehr traurig und mir fiel es nicht leicht, den Tag gut zu überstehen. Ich hoffe, Du siehst es mir nach. Mama liebt Dich!

Es grüßt euch

die Löwenmama

Lebenszeichen – und „Neid ist nicht gleich Mißgunst“

25. Juni 2013

Hi an euch alle da draußen,

ich habe hier sehr lange nichts mehr geschrieben. Sicher nicht, weil ich nichts zu sagen gehabt hätte, aber die Themen, mit denen ich mich in den letzten Monaten rumgeschlagen habe, in meinem Kopf und meinem Herz, waren nicht für die Öffentlichkeit eines Blogs bestimmt. Ich mußte mir über manche Sachen erstmal selbst klar werden, das war für mich ein schwieriger Prozess.

Und ich war etwas gehandicapt, da mein Netbook seit dem Umzug noch nicht internettauglich war und mit den anderen Medien im Haus ist posten langwierig und nervig und nicht mal eben zu bewerkstelligen. Aber hier bin ich mal wieder und möchte ein paar Gedanken hier lassen.

Seit dem Einzug haben wir uns gut eingelebt und so langsam kennen wir hier auch die Leute rundrum und vom Kindergarten. Meine guten und schlechten Zeiten wechseln sich noch immer ab, aber ich habe jetzt bessere Zeiten, die auch gern mal länger werden. Aber die schlechten Zeiten – auch wenn sie nie allzu lang dauern – sind wirklich schlecht. Ich kann aber besser steuern, wann ich das „rauslassen“ kann. Und wenn ich dann für mich meine Ruhe habe, fließt es auch. Teils sehr heftig, aber ich fühle mich besser danach. Ich fahre dann oft zu Jo oder schaue mir zu Hause seine Bilder und Videos an, wühle in seinen Sachen, rieche daran und bin trauriger denn je, dass sie seinen Duft verloren haben. Sie riechen jetzt einfach nach uns und nicht mehr nach ihm. Mir ging damit etwas verloren. Aber es war klar, dass es irgendwann so sein wird.

Ich habe gestern eine Wortsammlung gemacht, rund um das Sterben meines Kindes. Ich fand es einfach mal wieder wertvoll, sich alle Emotionen dazu anzusehen und sie auch ohne schlechtes Gewissen zuzulassen. Auch die, die von außen sicher unverständlich sein könnten. Wie kann ich „froh“ sein? Doch, ich war es. Es war gut, das es vorbei sein durfte.

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Interessant fand ich, dass alles immer noch so zutrifft von meinem Empfinden her. Vielleicht waren kurz nach seinem Tod manche Worte ganz dick und heute sind sie es nicht mehr und andere sind dafür dick, die ich damals etwas in den Hintergrund gestellt hätte. Aber grundsätzlich hat sich daran nichts geändert. Ich bin unserem Kinderarzt heute noch dafür sehr dankbar, dass er mir bereits im Vorfeld gestattet hat, auch erleichtert und froh sein zu dürfen. Ich hätte sonst größte Probleme damit gehabt, mir auch diese Gefühle, die so gar nicht in das Ganze passen wollen, zugestehen zu können. Ich glaube nur deswegen konnte ich es mir erlauben, einfach so auch diese Gefühle zu leben.

Ich fahre inzwischen nicht mehr täglich zu Johannes. Ich fahre, wenn ich mag und es brauche. Das kann an manchen Tagen mehr als einmal sein, dann ein paar Tage gar nicht und ich fahre nur, weil die Kerzen mal wieder brennen sollten. Ich fahre teilweise auch bewußt nicht, weil es mir nicht gut tun würde. Ich war dieses Jahr vor und nach dem Muttertag, aber nicht an diesem Tag selbst, da ich mich dieses Jahr einfach nicht damit quälen wollte. Für mich ist es, als würde man mich schlagen, am Muttertag am Grab meines kleinen Stinkers zu stehen.

Wir haben immer noch unsere kleinen, süßen Begleiter. Man glaubt es kaum. Erst die Tage war ich mit meiner Tochter auf einer Familienwanderung, die der Kindergarten veranstaltet hat. Ich sah beim Picknick in der Wiese einen Marienkäfer und zeigte ihn ihr noch und wollte ihn fotografieren. Seht, was ich dann entdeckt habe, als ich den Fotoapparat aus dem Rucksack kramen wollte?
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Er ist immer dabei!

Aber ich stehe oft im Konflikt. Im Kinderturnen, bei solchen Wanderungen, bei Festen rund um die Kinder, kürzlich auf dem großen Indoorspielplatz… eine meiner beiden Hände ist immer leer, wo ich eine zweite kleine Hand halten sollte. Das tut weh und wird mir dann jedes Mal wieder so sehr bewußt. Und da kamen auch diese Gefühle des Neides in mir auf. Vor allem, wo ich ständig Schwangere um mich rum habe und Frauen mit ganz kleinen, frischen Babies. So langsam hat sich herauskristallisiert, dass das am schwersten für mich ist. Es sind nicht die Kinder, die jetzt so alt sind wie Jo wäre. Ich muß tatsächlich immer überlegen, wie alt er jetzt gerade im Moment wäre, die Zeit verschwimmt. Und was er könnte und was er wohl machen würde. Diese Gedanken kommen komischerweise immer hoch, wenn ich ihn besuche. Wenn ich erzähle, was wir gemacht haben. Da überlege ich mir oft, wie er wohl wäre. Was er mögen und nicht mögen würde. Wie die Kleine und er wohl rumzanken würden.

Nein, es sind die ganzen Mamas mit den Tragetüchern, mit den kleinen Zwutschgis auf dem Arm oder die mit dem dicken Bauch. Die setzen mir ordentlich zu. Ich habe mir große Vorwürfe gemacht, weil ich Neid irgendwie mit Mißgunst gleichgesetzt habe. Macht man das allgemein so? Ich habe mich nun mit dem Thema Mißgunst auseinandergesetzt und für mich festgestellt, dass einem das auch suggeriert wird. Also auch andere Neid mit Mißgunst gleichsetzen. Ich bin neidisch auf die Kinderschar der anderen, also gönne ich sie ihr nicht? Nein, das ist natürlich Quatsch. Ich mußte somit nun lernen, dass man sehrwohl auf etwas neidisch sein kann und man dem anderen trotzdem sein volles Glück gönnt. Es ist kein boshafter Neid. Im Gegenteil, es ist wunderschön, dass es all diese Kinder um mich rum gibt. Aber es wäre noch schöner, würde meiner mit rumhüpfen. Es ist ein bitterer Neid.

Johannes hatte gestern Namenstag. Pünktlich dazu ist seine Rose aufgeblüht:

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Und was ich auch schon lange posten wollte – wir konnten am 18. April diesen Jahres endlich Johannes Geburtsbaum pflanzen – es wurde ein Gravensteiner Apfelbaum. Seine Plazenta liegt darunter…

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Es grüßt euch herzlich nach langer Zeit mal wieder

die Löwenmama

Eine Lanze für Trauernde brechen

6. Januar 2013

Ich hatte es im alten Jahr angekündigt ein wenig darüber zu schreiben, was ich letztens in einem Seminar über „sterben, Tod, Trauer“ regelrecht aufgesaugt habe. Der Referent hat absolut eine Lanze für Trauernde gebrochen und das tat mir so unsagbar gut. Ein wenig davon möchte ich zusammenschreiben – für mich, um es mir immer wieder mal durchzulesen und auch für euch, die ihr da draußen seid und auch trauert, in Trauer lebt, mit der Trauer lebt, überlebt oder wie auch immer. Und für diejenigen, die mit Trauernden umgehen. Und vielleicht auch unsicher sind, wie sie am besten mit Trauernden umgehen.

Ich schreibe völlig wertfrei. Wenn sich jemand Nichttrauernder angesprochen fühlt, meine ich das nicht persönlich. Das ist mir ganz wichtig, das zu sagen.

In der Trauer ist alles erlaubt. Von außen wird oft erwartet, das man auch sichtbar trauert, sichtbar traurig ist. Je nachdem, wo man lebt, erwartet man vielleicht sogar, das man in schwarz geht. Manche haben immer noch gedanklich ein Trauerjahr im Kopf. Und wenn dann das erste Jahr rum ist, dann könnte man ja mal wieder normal funktionieren. Trauert man dann aber immer noch oder sogar sehr stark, wird vermutet, dass man depressiv ist, dass man professionelle Hilfe braucht, besteht großes Unverständnis darüber, das man die Trauer noch nicht abgelegt hat. Das man noch nicht darüber hinweggekommen ist.

Ich weiß nicht, wie andere trauern, aber ich glaube, Trauer ist etwas sehr individuelles. Vielleicht ist es auch ein Unterschied, was man betrauert, wen man betrauert und wie alt man dabei ist. Vielleicht auch nicht. Wer weiß das schon?

Das erste Jahr: das erste Jahr war sehr komisch. Ich schreibe jetzt nur von mir. Zuerst war ich sehr betäubt. Und ich konnte das gar nicht glauben, das es wirklich passiert ist. Ich brauchte wirklich viele Wochen, bis ich das realisieren konnte. Ja, Johannes ist wirklich gestorben. Und dann kam eine Phase, wo ich das so unglaublich fand, was uns passierte und ich saß da und fragte mich: „ist uns das _wirklich_ alles passiert“ und „gab es Johannes wirklich?“. Ich ging nach oben und sah nach, ob da tatsächlich seine Sachen sind, fühlte die Kette mit seinem Fingerabdruck an meinem Hals. Und ja, es gab ihn wirklich und ja, es ist uns wirklich passiert. Es ist ihm tatsächlich passiert. Ich mußte das für mich wirklich erst realisieren.

Erst kam eine erste Nacht ohne ihn, ein erster Tag ohne ihn, dann ein erstes Sonntagsfrühstück ohne ihn. Es folgte eine erste Woche ohne ihn, der erste Monat ohne Johannes. Das erste Weihnachten – ohne ihn. Kurz darauf ein erstes Silvester ohne den kleinen Stinker. Sieht er uns von dort oben? Nochmal richtig laut knallen? „Hey, da unten sind wir!!“

Die ersten Geburtstage ohne Jo, ein Ostern ohne Osternest für unser Baby. Ein Geburtstag ohne Geburtstagskind und dann ein Todestag. Ein ganzes Jahr ohne den kleinen Schnuckmuck.

Und dann war es rum. Das erste Trauerjahr. Das berühmtberüchtigte Trauerjahr. Und jetzt sollte ich darüber hinweg sein? Nein, ich war glaub noch nicht mal mittendrin.

In gängiger Trauerliteratur liest man, dass das zweite und dritte Jahr am schlimmsten sind.

Was ich erst ganz schlimm fand: zuerst war es „dieses Jahr ist unser Baby gestorben“, dann „letztes Jahr ist …“ und jetzt seit dem Jahreswechsel „vorletztes Jahr ist …“. So lang ist das schon her? Aber ich glaube, es war doch erst gestern.

Wie soll ich jemandem erklären, das ich so schrecklich traurig bin, das ich gelegentlich die ganze Welt vor Schmerz am liebsten zusammenschreien möchte, das ich am liebsten an seinem Grab stehen möchte und „Johaaannnnneeeees“ so laut schreien möchte, das es bis ans Ende der Welt zu hören ist?

Das ist verdammt nochmal nicht schon so lange her, das es vorletztes Jahr war?

„Langsam sollte sie doch jetzt drüber hinweg kommen“… munkelt man dann vielleicht?

Vielleicht komme ich nie darüber hinweg.

Kann man über so etwas hinweg kommen?

Muß man über so etwas hinweg kommen?

Nein, man muß nicht. Vielleicht kann man. Aber man muß es nicht. Und es ist normal, wenn man es nicht tut. Und es ist ein verdammtes Recht, nicht darüber hinweg zu kommen.

Und man ist nicht unnormal, wenn man nie über den Verlust eines geliebten Menschens, des gliebten Partners, des Kindes, … hinweg kommt.

Und ein Leben lang traurig ist.

Und ich wünsche allen Trauernden von Herzen, so lang traurig sein zu dürfen, wie sie es brauchen – vielleicht ein Leben lang. Aber dennoch leben und lachen und lieben. Um am Ende unterm Strich ein glückliches Leben gelebt zu haben.

Bei Angehörigen entsteht Hilflosigkeit, wenn Trauernde vermeintlich nicht über ihre Trauer hinweg kommen. Man möchte helfen und erwartet aber gleichzeitig, dass es besser wird. Das derjenige die Trauer hinter sich läßt. Aber er muß die Trauer nicht hinter sich lassen. Er darf sie weiter leben. Und auch mal nicht leben. Angehörige sind herzlich eingeladen, Trauer mit auszuhalten, anstatt sie auszumerzen, auch wenn es noch so schwer ist.

Es gilt nicht, Trauernde aus „Löchern“ zu holen. Es gilt Trauernden zuzuhören. Sich neben das Loch zu setzen. Dem Trauernden zu sagen „ich bin da, wenn ich was tun kann für Dich“, ihm Zeit zu geben. Bis er bereit ist da wieder auszukommen. Vielleicht mal zu sagen: „Hey, vergiß nicht, da draußen ist das Leben. Ich lade Dich ein, mal wieder teilzunehmen“ und irgendwann wird der Trauernde entweder einfach rauskommen oder sich raushelfen lassen.

Es tat mir so gut zu hören, das es kein richtig oder falsch trauern gibt. Das Trauer auch nach Jahren!!! nicht unnormal oder gar krankhaft ist. Das Trauer einfach ganz individuell ist.

Es ist nochmal etwas ganz anderes, wenn man seine Trauer als Recht in Worte fasst. Ich habe spontan für den Moment meine Gedanken hierzu mal zusammengetragen:

Du hast das Recht zu trauern, wie Du willst und es Dir gut tut.
Du hast das Recht zu weinen, so lange und wo Du willst ohne Dich Deiner Tränen schämen zu müssen.
Du hast das Recht auch nach Jahren traurig zu sein, als wäre es gerade eben passiert ohne Dich dafür rechtfertigen zu müssen, weil Du eigentlich schon darüber hinweg sein müßtest.
Du hast das Recht, Rücksicht zu erfahren, wenn Du nicht einfach funktionierst, nicht leisten kannst was man von Dir erwartet, weil die Trauer Dich blockiert.
Du hast das Recht, Dich für Deine Trauer nicht rechtfertigen zu müssen.
Du hast das Recht, dass man Rücksicht auf Dich und Deine Trauer nimmt.
Du hast das Recht zu leben. Dich am Leben zu erfreuen. Zu lachen. Oder auch vermeintlich nicht sichtbar zu trauern. Auch wenn Du ganz frisch Trauernder bist.
Du hast das Recht, glücklich sein zu dürfen.
Du hast das Recht Deine Trauer zu leben, wie es Dir gut tut. Du bist Du und es ist Dein Weg.
Du hast das Recht, Dir in der Trauer eine Auszeit zu nehmen, wenn Du Zeit für Dich und Deine Trauer brauchst oder die Trauer Dich lähmt.

Wenn man Probleme damit hat sich das zuzugestehen, ist das sehr wertvoll es in eigene Gedanken zu fassen.

Noch be-greif-barer wird es, wenn man es mit „Ich“ formuliert. Dann ist es nochmal viel, viel näher.

Es gibt zig Beispiele hierzu, von allen möglichen Verfassern. Im Buch, im Web, …

Hier kopiere ich etwas von einem „Unbekannten Verfasser“ rein, das ich im Netz gefunden habe. Es hat mich sehr angesprochen:

Du hast ein Recht auf deine Trauer

Du darfst dich deinen Verlusten widmen,
musst nicht verdrängen, was dich beschwert.
Du hast ein Recht, das abzutrauern,
was dich so tief enttäuscht hat
und was du nicht ändern kannst.

Du hast ein Recht auf deine Tränen,
auf dein Schweigen,
auf deine Ratlosigkeit,
auf deine innere und äußere Abwesenheit,
Du musst nicht den Glücklichen spielen,
nicht über den Dingen stehen.

Du hast ein Recht, die wegzuschicken,
die dich mit Gewalt aus deiner Trauer
herausholen wollen, weil deine Trauer
sie selbst bedroht.
Du hast ein Recht auf deine Trauerzeit.

Du hast ein Recht,
mit denen nicht reden zu wollen,
die dir ein schlechtes Gewissen machen
für deine Dunkelheit und Trauer.
Die mit Sprüchen kommen
und dich mit diesen Sprüchen
unter Druck zu setzen versuchen.
Du hast ein Recht auf deine Trauerstille.

Du hast ein Recht, dich zu wehren
gegen die, die dir sagen
was du fühlen darfst und was nicht,
die dich nicht als einzelnen,
sondern als Fall behandeln
und sich innerlich nicht wirklich
mit dir einlassen.

Vielleicht macht dich nichts so menschlich
wie deine Trauer.
Über sie kann ein Trauernder sich dir nähern
und auf Verständnis hoffen.
Trauern zu können ist eine Gabe.
Lass dir das Recht auf deine Trauer nicht nehmen
(Verfasser unbekannt)

    ***

Der Umzugsstreß ist noch nicht ganz abgefallen von uns und so ganz zu Hause fühlen wir uns hier im neuen Heim auch noch nicht. Eigentlich wollten wir nun ein wenig zur Ruhe kommen, aber das sollte nicht so sein. Der Löwenpapa hatte arge Rückenschmerzen, Arztbesuche und ein paar Untersuchungen die uns sehr an den Diagnostik-Weg mit Johannes erinnerten, was mich nervlich irgendwie ziemlich in alte Zeiten zurückgeworfen hat. Nächste Woche muß der Löwenpapa nun ins Krankenhaus und einen Eingriff über sich ergehen lassen. Das belastet mich schon sehr. Wo wir uns doch so sehr auf die Ruhe nach der Bauphase, nach dem Umzug gefreut hatten.

Ich weiß, wir haben einen ganz besonderen Schutzengel im Himmel. Und er hat ein Auge auf seinen Papa.

Hier brennt abends im Regelfall ein besonders drolliges Licht für ihn und zeigt unseren Besuchern schon von Weitem, dass hier ein Löwe wacht.

Es grüßt euch herzlich

die Löwenmama

Trauer ist auch ein Arsch

20. November 2012

Trauer ist auch ein Arsch, finde ich.

Ich fühle mich nicht so, als könnte ich Johannes Tod irgendwann überwinden. Ich fühle mich auch nicht so, als wäre es einfach unterschwellig vorhanden und ich bin zuerst traurig und dann weicht es Stück für Stück und alles ist (fast) wieder gut.

Ich habe mir nie genaue Gedanken darüber gemacht, was Trauer mit einem macht, wie sie sich anfühlt, wie man halt so trauert. Aber ich glaube, ich hatte schon irgendwie so ne Vorstellung davon. Vielleicht so in der Art, dass es erst schwer ist und dann immer leichter wird.

Aber so ist das nicht. Zumindest nicht bei mir. Mir geht`s zuerst sowas wie wirklich gut, weil ich sehr beschäftigt bin und dann fühle ich mich von meiner Trauer immer sehr distanziert. Das ist ganz praktisch, weil man leistungsfähig ist. Dann ist der Gedanke daran, dass ich mal ein Baby hatte und das jetzt tot ist, aber sehr abstrakt. Das fühlt sich an wie „nicht wahr“. Ich weiß, es ist wahr, aber es fühlt sich an wie eingebildet und nie gewesen. Seelenschontage.

Dann kommt die Phase, wo ich immer unruhiger und gereizter werde. Wo ich ein Ekel werde. Das macht mich gleichzeitig so unendlich traurig, weil ich so gar nicht sein möchte. Und dann beginne ich Johannes so unendlich schwer zu vermissen. Durchlebe manche Gefühle und Situationen nochmal.

Und dann fühle ich mich wie gelähmt. Bin nicht mehr leistungsfähig. Quäle mich durch die Tage. Habe keine Nerven. Schlage Zeit tot. Und hasse mich auch dafür.

Dann spüre ich nach ein paar Tagen, wie langsam sowas wie eine Last von mir abfällt und ich fange wieder an kreativ zu werden, gedanklich auch beweglicher, kann wieder etwas mehr leisten.

Bis ich dann wieder an dem Punkt bin, wo Johannes so weit weg ist, wie nie gewesen und ich mich im Hamsterlaufrad wiederfinde.

In den Leistungsphasen fühle ich mich ein amputierter Arsch, weil ich gar nicht mehr fühlen kann, dass ich den Löwen hatte. In der nächsten Phase fühle ich mich wie ein Arsch, weil ich mich wie ein Arsch aufführe. In der nächsten Phase, fühle ich mich wie ein Arsch, weil ich meinen Arsch nicht hochkriege und in der letzten Phase fühle ich mich nicht ganz so sehr wie ein Arsch, aber ich bin auf dem besten Weg dorthin.

Bin jetzt ich der Arsch, oder die Trauer?

Ich habe eben für mich beschlossen, dass die Trauer der Arsch ist.

Ich habe vorhin in einem Forum gelesen: „Mein Baby hat einen Zahn bekommen!“. Da war das alles wieder da. Mein Baby. Ja, da war doch eins. Ich hatte doch auch eins!! Und die Zähne waren eingeschossen. Aber durften nie rauswachsen. Ich hätte mich auch so sehr über einen ersten Zahn gefreut.

Stattdessen trab ich jeden Tag mit nem Arsch voll Kerzen auf den Friedhof und mach Licht. Mensch, da oben im Schlafzimmer steht ein Hochstuhl und ein Lauflernwagen. Zweiteres ein Geschenk von der Uroma und dem Uropa zum ersten Weihnachten. Heute hatte ich beim Misten für den Umzug erst die Rechnung dazu in der Hand. Der Hochstuhl ist unbenutzt. Da sollte er doch draufsitzen. Diese Bitterkeit kommt einfach immer wieder durch. Plopp. Schon ist sie da. Zuerst alles noch gut und schwupps, ein Satz, eine Bemerkung, irgendwas bestimmtes und diese Bitterkeit schmerzt im Herz, in der Magengrube.

Was ist uns da passiert? Was haben wir verdammt nochmal verloren?!

Ich vermisse diesen kleinen Stinker einfach so sehr.

Wir sind nicht alleine. Es gibt auch andere Eltern, die ihr Kind betrauern. Ein Elternpaar, das Kind hatte auch Mb Krabbe und ist vor kurzem zu den Sternen gereist, hat uns neben ein paar anderen sehr süßen Sachen ein Löwenlicht geschickt:

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Es brennt heute nicht nur für Johannes, sondern für alle kleinen Zwergennasen, die zu den Sternen gereist sind und uns Eltern, die mit dem Verlust irgendwie leben müssen.

Viele liebe Grüße

die Löwenmama

Hase Schlappohr

6. November 2012

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Da sitzt er, mit hängenden Ohren – der Hase Schlappohr.

Einsam ist er geworden. Er ist einer der wenigen, die Johannes nicht mit auf seiner Reise begleitet haben. Die Löwen haben wir ihm mitgegeben – bis auf einen kleinen, der eher immer neben ihm lag. Alle anderen Kuscheltiere waren Lagerungshilfe. Der kleine Löwe war zu klein.

Der Hase Schlappohr war auch so ein Lagerungsprofi. So kuschlig weich, schnell gewaschen und wieder da… aber halt eben kein Löwe. Irgendwann vor ein paar Monaten hab ich ihn mir geschnappt und seitdem begleitet er mich Nacht für Nacht. Die Nächte sind gerade lang… habe gerade eine blöde Phase. Ich fühle mich so verloren.

Ich hab mir kürzlich vorgestellt, wie Johannes jetzt wohl aussehen könnte. Ob er blonde oder immer noch schokobraune Haare hätte? Was für eine Frisur hätte er wohl? Und wie sich Mama und Papa aus seinem Mund anhören könnte? Ich hab mir ins Gedächtnis gerufen, was Kinder in dem Alter machen, wie groß sie sind und das tat so weh. Das tut so weh. Es hört einfach nicht auf.

Wir haben vorläufig Nachricht von der Genetik. Bei einem von uns konnte man den Defekt eindeutig „identifizieren“, also das was man fand ist in der Datenbank und was „gängiges“. Beim anderen hat man auch was gefunden, etwas das auch ins Bild paßt, aber nicht in der Datenbank ist. Jetzt müssen wir nacharbeiten. Wir haben ja die Plazenta im Gefrierschrank mit der Nabelschnur dran. Sobald wir alles haben was wir brauchen, tauen wir sie so weit auf, dass wir von der Nabelschnur ein Stück abschneiden können und dann geht`s ab damit in die Genetik. Wir brauchen nochmal eure Daumen, dass man mit dem Nabelschnurrest überhaupt noch arbeiten kann. Wir hoffen, dass Johannes sein Geheimnis doch noch preisgibt.

Mich belastet diese Warterei sehr. Und noch mehr belastet es mich, die Plazenta aufzutauen, etwas von der Nabelschnur abzuschneiden. Die Plazenta, die Nabelschnur – unsere Verbindung. Nochmal ein Teil von Johannes in Händen zu halten. Die Nabelschnur durchschneiden – das Symbol für Geburt. Aber welch Glück, sie überhaupt noch zu haben!

Ich sehne mich nach Ruhe in meinem Leben. Ich würd mich gern mal wieder langweilen. Die Seele baumeln lassen. Das tun, worauf ich Lust habe. Aber der Umzug, der Bau des Hauses, Termine, ständig irgendwas. Ich hab keine Ressourcen mehr. Meine Ohren hängen deswegen auch ein bißchen so wie die des Hasen Schlappohr. Und so verloren wie er sich fühlt, fühle ich mich auch. Teilweise hilft nur Zeit totschlagen, damit der Tag rum ist und der nächste vielleicht besser wird.

Ich hab mal ein Baby bekommen. Ganz zart war es. Und ich habe es so sehr geliebt. Es war so erwünscht. Was ist uns da nur passiert? Es paßt noch immer nicht in meinen Kopf.

Vielleicht wird es auch nie reinpassen.

Es grüßt euch herzlich

die Löwenmama

Johannes 2. Geburtstag – der erste ohne ihn

14. August 2012

Heute ist Johannes 2. Geburtstag.

Happy Birthday, kleiner Löwe!

Ich muß sagen, ich hab Tag für Tag mehr Muffensausen bekommen. Schon vor längerer Zeit haben wir uns darüber Gedanken gemacht, wie wir diesen Tag gestalten wollen. Arbeiten gehen kam nicht in Frage. Freizeitpark oder irgendetwas lustiges, lebendiges war die erste Idee. Wir verwarfen aber diesen Gedanken wieder und wollten in die Berge – wie nach Johannes Tod. Das lag uns am nähesten.

Mein Bestreben war es aber inzwischen nur noch, den Tag zu überleben. Ich wollte, das es ein schöner Tag wird und es war mir wichtig, das ich für Johannes etwas mache. Aber ich wollte auch, dass er einfach nur vorbei geht.

Trotz allem, ganz wichtig war mir, das es ein Geschenk gibt, das der Löwenpapa und ich schon vor einer ganzen Weile gekauft hatten. Vorgestern packte ich es ein und es war ein wirklich dummes Gefühl, ein Geschenk für ein Sternenkind einzupacken.

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Und dann sollte es einen Geburtstagskuchen geben. Ich habe mir ein paar Tage davor schon Gedanken gemacht, was ich für einen Kuchen backen könnte. Geburtstagskuchen für ein Kind sind immer etwas sehr besonderes. Sie dienen ja nicht nur dazu die Feiernden satt zu machen, sondern sollen Kinderaugen zum Strahlen bringen. Dieser Kuchen sollte keine Kinderaugen zum Strahlen bringen… Was für ein scheiß Gefühl. Tränenmeer.

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Ich hatte die Tage davor meinem Mädchen eine Geschichte von „Frederick und seinen Mäusefreunden“ vorgelesen. In der ersten Geschichte geht es darum, dass Frederick und seine Mäusefreunde sich auf den kalten Winter vorbereiten und Getreide, Nüsse und Stroh sammeln und alles in ihren Unterschlupf in der Steinmauer bringen. Alle arbeiten, mühen sich ab und plagen sich um für den Winter vorzuarbeiten, nur Frederick scheinbar nicht. Die anderen Mäuse sind irgendwann recht vorwurfsvoll, denn wenn sie Frederick fragen was er macht weil er nur rumliegt, antwortet er, dass er sammelt. Worte, Sonnenstrahlen, Farben, … Die Mäuse konnten damit nichts anfangen und ärgerten sich über die vermeintliche Faulheit von Frederick. Der Winter kam, die Mäuse hatten sich gut versorgt und es war eigentlich recht gemütlich in der Steinmauer. Die Mäuse hatten es kuschlig und genug zu essen. Das sollte aber nicht immer so sein und als irgendwann eine ganz karge Zeit eintrat, wo es nicht mehr kuschlig war, das letzte Korn geknabbert war und es nichts mehr zu reden gab fiel den Mäusen ein, dass sie ja noch Fredericks „Vorräte“ hatten. Sie fragten ihn also, was mit seinen Vorräten sei und Frederick forderte sie auf, die Augen zu schließen. Er erzählte den Mäusen von den roten Mohnblumen, den blauen Kornblumen, erzählte ihnen von der wärmenden Sonne und dichtete. Die Mäuse lobten Frederick kräftig, diese „Vorräte“ hatten sie gerne.

Diese Geschichte erinnerte mich daran, dass wir in der Trauer wortlos sind, die Sonne nicht immer gut spüren können und die Welt seit Johannes Tod weniger bunt ist. Ich wollte heute das „bunt“ sammeln und ganz bewußt beachten, die Sonne tanken und Worte sammeln. Hier sind unsere bunten Schätze:

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Frederick sollte uns begleiten, den hatte ich für Johannes gebastelt:

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Die Wanderung war sehr schön, auch wenn etwas ungeplant chaotisch. Wir hatten die Route als leichte, familienfreundliche Tour herausgesucht, Anforderungsprofil wenig Kondition. Und wir liefen über Stock und Stein, rauf und runter und mußten am Ende umkehren, da wir den Weg mit unserer Kleinen nicht bewältigen konnten. Aber es war irgendwie wie im richtigen Leben. Man hat eine Vorstellung, plant etwas und am Ende läuft es ganz anders. Es war egal. Die Strecke sah auf dem Rückweg von der anderen Seite gleich nochmal ganz anders aus und war trotzdem sehr schön. Eine schöne Wanderung. Gut überlebt. Wir hatten wirklich schon andere Probleme als eine ungeplant verlaufende Wanderung und eine Kehrtwende zu machen.

Ein paar Momente versuchte ich einzufangen…

Licht und Schatten…

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Glockenblumen…

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Dem Himmel so nah…

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Diese Puschel waren so weich – sie hätten ihm sicher gut gefallen…

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Die Farbe erinnerte mich an die Farbe seiner Löwenmähne…

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Ganz weit oben – nochmal dem Himmel so nah…

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Diese Zartheit. Diese Frische. Diese Reinheit, dieses schützenden Frauenmantels! Wow.

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Nach der Wanderung stärkten wir uns zu Hause erstmal beim Löwen-Kuchen.

Abends führte uns unser Weg zum Friedhof. Es lag hier immer noch ein Geschenk. Ein Korb voller Kerzen. Unsere bunten Schätze, die wir von der Wanderung mitgebracht hatten. Und wir wollten ein paar Seifenblasen pusten, bei Johannes sein. Ihm einen ganz persönlichen Besuch abstatten. Wir waren nicht die einzigen, die Johannes besuchten. Wir sahen es an den kleinen Besonderheiten, die von seinen Besuchern mitgebracht wurden…

Ein Affe vom Bruder gebastelt:

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Windspiel…

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Ein „Bob der Baumeister“ für kleine Kerle:

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Und ein sehr stolzer Löwe.

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Eine süße kleine Holzpfeife ist links auf dem Geschenke-Bild oben im Beitrag zu sehen. Und eine schöne Rose fanden wir am Grab.

Wir sind froh, das dieser lange Tag zu Ende ist. Wir haben sicher das beste draus gemacht, was man draus machen konnte. Und wir danken allen, die uns begleitet haben, die Johannes etwas gebracht haben, die uns nahestanden. Die den Tag zu dem gemacht haben, was er war. Danke an alle, die uns -wie auch immer- nahe waren.

Es grüßt herzlich

die Löwenmama

Grell, bunt, laut – und so stumpf.

17. April 2012

Ja, so stellte ich mir unseren Aufenthalt in London vor. Grell, bunt und laut. Und so war es dort irgendwie auch. Aber ich empfand es als so stumpf. Ich brauchte eine Weile, bis ich das Gefühl als solches überhaupt ausmachen konnte, bis ich für mein sich blöd anfühlendes Empfinden Worte fand. Wir stellten fest, es ist für uns beide so. Und ich brauchte ein bißchen Zeit, um die richtigen Worte dafür zu finden und ich weiß nicht mal, ob ich beschreiben kann, wie es sich anfühlte.

Es fehlte – dieser Enthusiasmus. Man hat die Kinder gut versorgt zu Hause gelassen und weiß, wir haben Zeit für uns. Zeit für die Partnerschaft. Eine riesengroße und richtig geile Stadt lockt und wir können alles tun, was uns in den Sinn kommt. Alles ausprobieren, es so richtig rocken lassen.

Und dann ist man dort. Mit dem Kopf vielleicht noch nicht ganz angekommen, aber spätestens beim ersten Knaller kommt dieses Gefühl, dieses „ach wie geil, schau doch, Wahnsinn„… und das fehlte. „Ach ja, das ist nett. Wow, stark“. Sehr verhalten. Nicht dieses „cool, was schauen wir uns als nächstes an“ nach der Karte kramend und schon halb in der U-Bahn stehend. Eher dieses „da fehlt der Knaller, haben wir schon alles gesehen?“-Gefühl und „ok, was könnten wir als nächstes machen…“. Und dann fährt man halt und erlebt es ganz ähnlich.

Es fühlte sich alles dumpf an und mir wurde am dritten Tag klar, warum. Im Alltag funktionieren wir wunderbar. Alles ist festgelegt von außen durch Dienstpläne, Stundenpläne, Busfahrpläne, Trainingspläne, Spielpläne, … man hat seine täglichen „do`s“ und macht einfach sein Ding. Und plötzlich steht man da in blinke-blinke London, hat alle Zeit der Welt, wird regelrecht erschlagen von allen möglichen Eindrücken und soll es richtig rocken lassen. Und man wartet und wundert sich, fragt sich was mit einem los ist und dieser Funke springt verdammt nochmal einfach nicht so richtig über.

Da ist sie dann, diese Trauer, die im Alltag nicht so richtig Zeit hat rauszukommen. Wo man denkt, man ist so weit und man ist es nicht. Man ist nur weit weg davon. Aber nicht weit gekommen. Versteht ihr, was ich meine?

Diese paar Tage Auszeit haben mich überrumpelt. Haben mich vor die Herausforderung gestellt, nicht nur zu funktionieren, sondern aktiv zu sein. Einfach „ich“ zu sein. Und ich konnte es nicht gut. Es gelang mir irgendwie nicht.

Ich schrieb einmal, das die Welt seit des Löwen Tod nicht mehr so bunt ist, wie sie einmal war. Und das meine ich wirklich so, wie ich es schreibe. Wortwörtlich. Ich kann es gar nicht anders beschreiben. Sie ist blasser. Einfach nicht mehr so bunt. Und das war in London, in diesem lauten, grellen, bunten, blinkenden London so deutlich spürbar.

Da ist es wieder dieses Thema mit der Freude. Mit dem fühlbaren Glück. Sich nicht mehr so sprühend über etwas freuen können. Vielleicht fühlt sich dann einfach auch so ein London-Trip so an. Das man einfach lernen muß, dass es anders ist. Es war ja nicht schlecht in London. Es waren schöne Tage, sehr wertvolle Zeit mit meinem Mann. Besondere Augenblicke und Eindrücke die einen bereichern. Aber der Fokus ist ein anderer. Unsere Erwartungen waren es, die sich anders anfühlten. Vielleicht müssen wir das neu lernen.

London mit meinen Augen:

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Mit anderen Augen habe ich eine Holocaust-Ausstellung gesehen. Ich fand mich zum ersten Mal in der Opferhaltung wieder. Man betrachtet so eine Ausstellung mit Widerwillen, mit Abscheu, ist erschrocken, vielleicht treten einem auch Tränen in die Augen. Man ist angeekelt und angewidert und kann gar nicht verstehen, was da damals mit den Leuten passiert ist. Zumindest ich empfinde solche Ausstellungen und beobachte ähnliche Reaktionen bei Umstehenden.

Ich fand mich vor einem Glaskasten wieder. Da lief ein Propaganda-Video. Menschenmenge, Nahaufnahmen und jeder vierte Mensch war ein Behinderter. Im Hintergrund eine Stimme: „Wenn wir jetzt nicht eingreifen, wird das unsere Zukunft sein. In 50 Jahren ist jeder vierte ein Behinderter, Seite an Seite mit unseren Kindern. Wollen wir das? Davor müssen wir uns schützen.“ (nicht exakter Wortlaut, aber sinngemäß und so ähnlich wie ich es halt noch im Kopf habe)

Im Glaskasten lagen Bücher wie „Gattenwahl“ und „Rassenlehre“ aus und ein Buch war aufgeschlagen. Gezeigt wurde anhand von Bildern, wie man Sterilisationen medizinisch durchführt. Zwangssterilisationen. Und mir wurde schlagartig klar, ich wäre damals ein Opfer gewesen. Man hätte mich zwangssterlilisiert. Und den Löwenpapa auch. ZWANGSSTERILISIERT! Wegen unseres Genschrotts. Den Morbus Krabbe kannte man damals ja schon…

Ich tat mir schwer damit. Diese Gedanken daran, wie die das mit mir, mit uns gemacht hätten. Man kann diese Gedanken nicht einfach beiseite schieben. Mir stiegen die Tränen in die Augen, meine Wangen waren heiß. Was hätten sie mit meinem kleinen Löwen gemacht? Wieder die Stimme: „Wir pflegen sie liebevoll, aber wir wollen sie nicht und werden mit aller Macht verhindern, dass sie geboren werden.“ (sinnentsprechend, kann den Wortlaut nicht genau widergeben)

Mein kleiner Löwe, den wir geliebt haben bis zum letzten Moment und immer noch so sehr lieben. Den wir randvoll angefüllt haben mit Liebe und Streicheleinheiten. Nicht weiterdenken will ich. Gedanken bremsen, stoppen. Geht nicht gut. Raus hier. Zu viel.

Viele Gedanken habe ich mitgebracht von dieser London-Reise. Es lebt sich gerade nicht locker leicht. Ich bin nachdenklich, hinterfrage mein bisheriges Leben, fühle als hätte ich so viel falsch gemacht. Nie was richtig gemacht. Nie was fertig gemacht. Als wäre alles so viel schief gelaufen. Ist es natürlich nicht, aber rückblickend frage ich mich, warum das so ein gefühltes Durcheinander ist. Auch wenn es schon ok ist, so wie es ist. Aber ich hätte es mir anders vorgestellt.

Mit 22 Jahren ungeplant schwanger geworden (Wunschkind zum falschen Zeitpunkt 😉 ). Kein Beinbruch, Ausbildung beendet, ein Jahr gearbeitet und eigentlich begann es gerade richtig Spaß zu machen. Geheiratet. Aber im Leben ist wie es ist und zuweilen geht man plötzlich ganz andere Wege.

Ich freute mich und genoss es Mutter zu sein. Drei Jahre war ich zu Hause, die Ehe ging in der Zeit in die Brüche und ich war alleinerziehend. Dann eine neue Liebe und 2008 wurde unser Mädchen geboren. Perfekt! Sie war unser Hochzeitsnachtsbaby. Im Auto auf dem Weg ins Geburtshaus geboren. Merkt ihr? Immer Grenzgänger.

Alles sollte so sein und wir waren so glücklich. Wieder hatte ich aufgehört zu arbeiten, Elternzeit. Die Zeit mit den Kindern mitnehmen, genießen. In sich aufsagen, dieses ganze Glück! Ich hatte beruflich ein bißchen was erreicht und weil ich es dieses Mal richtig machen wollte und wir noch ein Kind wollten (ich bin eine Vielkindmama, ich liebe Kinder und wollte ganz viel Kinderlachen um den Tisch) und wir einen kurzen Altersabstand toll fanden, haben wir es wieder gewagt.

Ich wußte, es wird streßig. Ich wußte, das wird knackig, bis das jüngste Kind vielleicht ein Jahr ist. Dann wird es leichter. Alle Strapazen auf mich genommen. Es war so ein scheiß heißer Sommer und ich trug Kompressionsstrümpfe. Nicht selten schwitzte ich so sehr, dass ich sie nach der Toilette nicht mehr hoch bekam. Trug meine Kleine viel und stillte. Und sagte mir immer, „wenn das Baby da ist und Du es im Arm hälst, weißt Du für was Du das getan hast“.

Für was? Frage ich mich heute. Das ich Kerzen auf den Friedhof trage? Spießrutenläufe im Supermarkt hinter mich bringe, weil die süßen kleinen Zwerge vorne im Einkaufswagen sitzend mich so süß angrinsend? Weil ich meinen Johannes dann da sitzen sehe, so wie ich gedanklich irgendwann irgendwo hängen geblieben bin, wie er jetzt wohl sein würde?

Aber weiter in meiner Gedankenschleife. Alles richtig machen wollte ich ja. Logisch planen. Erst noch ein Kind bekommen und dann wieder arbeiten gehen. Und wieder machte mir das Leben einen Strich durch die Rechnung. Mein Baby ist tot. Jetzt habe ich wieder angefangen zu arbeiten. Arbeite mich wieder neu ein. Es macht Spaß. Sehr viel Spaß sogar. Ich bin richtig gefordert. Die Einarbeitung ist anstrengend. So viel vergessen, so viel neu und anders. Aber fange ich jetzt wieder an zu arbeiten und schmeiß dann alles erneut hin, weil wir uns vielleicht doch nochmal für ein Kind entscheiden? Welche Möglichkeiten hätten wir überhaupt? Die genetische Beratung steht noch aus. Oder lassen wir es einfach? Will ich überhaupt? Trau ich mich? Ich hab Angst! Wo bleibe eigentlich ich?

Oder arbeite ich, mach im Job mein Ding, gebe meiner Angst nach und bereue es irgendwann? Das ich zu feige war und Glück verschenkt habe? Das ich nicht das gemacht habe, was mir wirklich wichtig war im Leben?

Was ist heute? Was ist morgen? Mein Urvertrauen ist ein einziger Schrotthaufen geworden. Früher dachte ich mir, „das krieg ich schon irgendwie hin, das fügt sich schon irgendwie, …“. Heute hadere ich mich, kann nichtmal bei den simpelsten Sachen darauf vertrauen, dass das schon rutschen wird. Stelle alles in Frage, traue mir viel weniger zu und das bremst so sehr. Das ist so anstrengend.

Ich traue mich nicht mehr zu träumen, weil das Ende offen ist. Das war es vorher auch, aber weil man darauf vertraute, dass es schon irgendwie klappen wird, konnte man sich diese Bilder bunt und fröhlich ausmalen, die Träume leben. Und das machte so viel Spaß auch wenn viele Träume Träume blieben.

Jetzt plane ich zwar, gehe aber sehr verhalten an Pläne ran. Es könnte ja jede Sekunde schief gehen. Ich arbeite sie ab, aber leben tu ich Träume erst, wenn sie keine mehr sind. Wenn der Plan aufging und das Geplante umgesetzt werden konnte, wird es gelebt. Aber die bunten Stifte zum Ausmalen der Träume sind verschwunden. So macht träumen keinen richtigen Spaß. Lernt man das wieder? Oder bin ich jetzt einfach verkorkst?

Oder doch ver-rückt auf Lebenszeit.

Eine Falte hab ich bekommen. Eine Falte des Lebens. Auf der Stirn zwischen den Augenbrauen. Eine Sorgenfalte hat sich tief eingegraben. Meine Johannes-Falte nenn ich sie inzwischen. Ich mag sie. Sie zeigt, ich lebe.

Es grüßt mal wieder aus einem wirren Gedankenchaos

die Löwenmama

Heute vor einem Jahr – die Diagnose

18. März 2012

Es ist genau ein Jahr her, das wir die Diagnose des kleinen Löwen erhielten. Es war ein Freitag, 14.00 Uhr, als mein Herz in tausende Stücke gerissen wurde.

Irgendwie hatte ich es schon geahnt. Der kleine Muck war noch von der Narkose der Lumbalpunktion in einem wirklich jämmerlichen Zustand. Solche Eingriffe steckte er wirklich richtig schlecht weg. Und auch der Mb Krabbe hatte schon ordentlich an ihm genagt, ihm ordentlich zugesetzt.

Irgendwie hatte ich es geahnt, das sowas blödes dabei rauskommen könnte, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und sie starb an diesem Nachmittag endgültig und mit der Diagnose auch ein Teil von mir, von uns allen. Voller Hoffnung gingen wir in diesen Termin, mit großen Bauchschmerzen, gewappnet für vieles. Aber dafür kann man sich nicht wappen. Das ist zu groß. Zu schmerzhaft. Zu schrecklich und pervers.

Ein Freitag Nachmittag für eine solche Diagnose. Der vermutlich denkbar schlechteste Zeitpunkt. Aber die Ärztin wählte diesen. Warum auch immer. Vielleicht dachte sie, der Zeitpunkt wäre gut. Weil vielleicht weniger los ist und mehr Ruhe herrscht. Vielleicht dachte sie aber auch nicht nach. Vielleicht hatte sie vorher keine Zeit? Vielleicht hatte sie keine Erfahrung?

Kein Groll, weil sie uns diese Diagnose mitteilen mußte. Nein. Sie hat in der Diagnostik einen guten Job gemacht. Sie konnte dem, was Johannes hat, endlich einen Namen geben und uns in gewisser Hinsicht erlösen. Zu wissen, was auf einen zukommt ist x mal besser, als nichts zu wissen und ertragen zu müssen, das der Ausgang völlig offen ist.

Aber wie uns das alles verklickert wurde, das ganze „drumrum“, das war wirklich krass und ist unentschuldbar. Wir empfanden (und empfinden immer noch) das als höchst unprofessionell. Mit dem Wissen heute können wir sagen, dass man das um viele Stufen hätte besser machen können. Wie man jemandem so etwas sagt, ist wirklich wichtig für die Seele. Mit unseren Seelen wurde nicht gut umgegangen.

In der Vergangenheit konnten wir mit verschiedenen Menschen sprechen und im Regelfall wird man nach so einer Diagnose aufgefangen. Wir wurden nicht aufgefangen.

Ich bin Polizeibeamtin und mußte schon oft Menschen mitteilen, dass das Liebste, der Partner, die Ehefrau oder gar das Kind ums Leben gekommen ist. Und ich konnte mich nie wesentlich darauf vorbereiten. Entweder hatte ich den Verkehrsunfall selbst aufgenommen oder ich wurde im Streifenwagen sitzend davon informiert, dass xy ums Leben gekommen ist und wir das bitte der Frau soundso mitteilen sollen. Hinfahren, klingeln, sagen. Keine nennenswerten Möglichkeiten, sich darauf vorzubereiten. Spontan. Und ich behaupte jetzt einfach mal, dass ich guten Gewissens sagen kann, dass ich niemals jemanden zurückgelassen habe, den ich durch mein unprofessionelles Auftreten zusätzlich traumatisiert habe. Egal ob es ein Glas Wasser war, das ich gebracht habe, einen lieben Menschen den man hat anrufen können um den Trauernden nicht allein zurück zu lassen, ob man einen Seelsorger oder ein Kriseninterventionsteam hinzugezogen hat. Diese Nachricht zu überbringen ist Teil meines Berufes, ich wurde dazu ausgebildet und den Rest muß man selbst mitbringen. Es ist richtig schlimm, jemanden so etwas zu sagen. Aber man kann es so tun, dass derjenige das Gefühl hat, er ist nicht allein. Er wird aufgefangen. Es wird ihm beigestanden. Da ist jemand da. „Ich kümmere mich um Dich!“

Als wir die Diagnose erhielten, war das nicht so. Ich hatte in der Zeit zwischen Lumbalpunktion und Diagnose schon um psychologische Unterstützung gebeten, weil es mir sehr schlecht ging. Es hieß, da würde sich „ganz schnell“ jemand bei mir melden. Es hat sich niemand gemeldet. Warum ich nicht selbst nochmal nachgefragt hatte? Ich hatte die Ressourcen nicht mehr.

Bei diesem Termin am 18. März 2011 um 14.00 Uhr baten wir wieder um psychologische Unterstützung. „Da ist jetzt aber keiner da!“, sagte uns die Ärztin.

„Wie kann es sein,“ fragte ich, „dass ich im Dienst zu jeder Tages- und Nachtzeit jemanden der irgendwelche Firlefanz-Probleme hat und ein bißchen austickt, vielleicht einen heftigen Krach mit seinem Partner hat und in diesem Moment psychologische Unterstützung braucht ins Klinikum auf die entsprechende Station bringen kann und demjenigen wird geholfen und jetzt sagen Sie mir, dass unser Kind stirbt und da ist niemand da?“.

„Am Freitag Nachmittag ist niemand da, Sie müssen irgendwie das Wochenende überstehen und am Montag können Sie xy erreichen!“. Sagte sie. Und ich fühlte mich so verloren.

Ich hatte einen Heulkrampf, ich wußte nicht mehr wie ich Luft bekommen soll. Wie ich den Löwen in meinem Arm halten soll, weil ich keine Kraft mehr spürte, hatte Angst, er kullert mir aus den Armen. Ich dachte, ich komm mit dem Schnaufen nicht mehr hinterher. Es war eine kalte, trostlose Situation.

Was ich auch als richtig schlimm empfand war, dass sie nicht meinetwegen gesagt hat: „Johannes hat eine so schwere Krankheit, dass wir ihm nicht mehr helfen können, er wird leider sterben.“ Und dann den Rest erklärte. Nein, das Gespräch baute sich mit einem Spannungsbogen auf. Sie erklärte die ganzen Untersuchungen und Ergebnisse, vom Anfang bis zum Schluß und das Resultat lag schon irgendwie in der Luft. Irgendwie schlimm und bedrohlich hörte sich alles an. Sie machte immer wieder Pausen und wir fanden uns in der Situation ständig „und jetzt?!?“ zu fragen, bis sie letzten Endes irgendwann sagte, das er mit dieser Krankheit nicht leben kann und sterben wird. Dieser Spannungsbogen war wirklich unerträglich.

Alles andere zu der Erkrankung erfuhren wir nur grob und auf Nachfrage. Die Krankheit selbst erklärte sie schon, also dass ein Enzym fehlt und das Myelin deswegen zugrunde geht, … Aber als Laie kann man sich nicht vorstellen, wo das letzten Endes hinführt, also was mit Johannes genau passieren wird, was für Baustellen zu erwarten sind. Hierzu erfuhren wir staccatoartige Eckpunkte: „wird blind, wird taub, wird steif, stirbt“. Dazu die Anmerkung, das wir sicher googeln würden und ein paar Internetadressen.

Irgendwann zu Hause haben wir gegoogelt. Ich landete als erstes bei Wikipedia und klickte alle hinterlegten Stichworte an. Als ich am Bild des Opisthotonus hängenblieb, war es aus. So sollte mein Baby irgendwann daliegen? Das ging einfach gar nicht und wir vereinbarten einen Termin mit unserem Kinderarzt, der uns alles sehr genau erklärte.

Bei dem Diagnose-Termin wurden wir auch direkt darauf hingewiesen, das wir ab jetzt Anspruch auf einen ambulanten Kinderkrankenpflegedienst hätten. Und ein Flyer des hiesigen Kinderhospizes wurde uns mitgegeben. Wir hätten uns gewünscht, das man uns das alles behutsamer nahelegt.

Wenn man voller Hoffnung in so einen Termin geht, auch wenn man was blödes ahnt, ist das alles zu viel. Man kann es nicht gut aufnehmen und verarbeiten, weil man so sehr geschockt ist, nur noch auf Notbetrieb funktioniert. Im Nachhinein frage ich mich, ob wir überhaupt fahrbereit waren. Zumindest schien es so, ein Taxi wurde uns mal nicht angeboten. Ich in meinem Job habe eine Garantenstellung und muß das hinterfragen.

Ein Rezept händigte sie uns noch aus. Für die Luminaletten. Ich hätte in diesem Zustand nicht in eine Apotheke gehen können, ein vermutlich nicht mal vorrätiges Medikament zu holen. Auch hier hätte es sicher Möglichkeiten gegeben. Und es gab eine. Nachdem ich ihr unmißverständlich klargemacht habe, dass wir jetzt in diesem Moment definitiv nicht dazu in der Lage sind eine Apotheke anzusteuern und sie hier im Haus eine Krankenhausapotheke haben, bzw. irgendwie es sicher eine Möglichkeit gibt, dieses Medikament zumindest für ein paar Tage für Johannes zu organisieren, verneinte sie erst und ging dann doch los und kam mit einer vollen Packung zurück.

Und so machten wir uns auf den Heimweg. Mit dem Wissen, wie der Feind heißt. Mit der Gewissheit, dass wir unser Baby nicht mehr lange haben werden. Das unser kleiner Johannes, für den wir alles getan hätten, sterben wird. Mit der Angst, wie wird das den Kindern, der ganzen Familie sagen. Mit der krassen Ungewissheit, was kommt auf uns zu? Das kann doch alles gar nicht wahr sein. DAS IST EIN ALBTRAUM!!! Freier Fall ohne Rettungsschirm.

Niemand hätte gedacht, das Johannes ein Jahr nach der Diagnose bereits fast ein halbes Jahr lang nicht mehr lebt.

Die Sonne scheint da draußen so ein bißchen scheinheilig vor sich hin und tut so, als könnte das ein toller Tag werden. Aber heut ist unsere Seele einfach zu sehr von Schatten verdeckt.

miss you…

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Herzliche Grüße – wütend und gleichzeitig traurig

die Löwenmama

Forrest Gump

3. März 2012

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Die letzten Tage war viel los. Viel, viel, viel. Hier wurde es mal ein wenig stiller, aber ich wollte euch heute wieder ein Lebenszeichen hinterlassen.

Wir arbeiten gerade an unserem neuen Leben, brechen aus dem Alten aus, weil es das Alte nicht mehr gibt. Machen uns auf in ein neues Leben – unser neues Leben. Wir haben die letzten Wochen beschlossen, von hier wegzuziehen. Ein Haus zu bauen. In Laufnähe vom Löwen. Der Große wird zum nächsten Schuljahr die Schule wechseln. Mein Mädchen besucht nun seit zwei Tagen als nigelnagelneues Kindergartenkind bereits den Kindergarten im künftigen Wohnort. Es fühlt sich richtig an, für uns alle. Das ist so ein großer Schritt.

Vor ein paar Tagen kam „Forrest Gump“ im Fernsehen. Ich höre den wunderschönen Soundtrack wirklich sehr gerne. http://youtu.be/2GFgwJiWaJE (Soundtrack von Forrest Gump)

Ich habe ihn oft gehört, mit dem kleinen Löwen auf dem Arm. Und bitterlich geweint. Und ihm immer wieder gesagt (und mir selbst tapfer vorgesagt), dass wir alles schaffen können. Wenn wir nur fest genug daran glauben, stark genug dafür kämpfen. Alles geben.

Wir haben viel geschafft und auch nichts. Aber gekämpft bis zum Letzten und alles gegeben. Ich konnte den Film dieses Mal nicht sehen. Wenn ich an die Melodie nur denke, treibt es mir die Tränen in die Augen.

Gestern haben wir es schön gemacht beim Löwen. Die Erde war über den Winter schon wieder so abgesackt und es tat sich rundrum so ein gräßlicher Spalt auf. Es war so ein verdammt beschissenes Gefühl durch den Gartencenter zu laufen und Graberde zu kaufen, ein Windrad auszusuchen. Und ein paar Blumen als Frühlingsgruß. Einen tollen Farbtupfer haben wir gefunden. Einen Marienkäfer an einer langen, biegsamen Stange, die sich im Wind wiegt. Ein fröhlicher und herrlich bunter Gruß, wenn man zum Löwen kommt. Schon von Weitem sieht man die Farben um die Wette leuchten. Und es ist seltsam beruhigend, wenn es dort wieder schön ist.

Aber heute ist meine Seele übergelaufen. Gebrodelt hat es schon ein paar Tage. Löwe im Kopf, Löwe im Herz – fehlt so sehr. Überall toben sie rum, die Zwergennasen. Er wäre jetzt bald 19 Monate alt. Würde durch den Garten laufen. Erst vor ein paar Tagen war ich mit meinem Mädchen im Schuhladen. Gummistiefel, Halbschuhe und ein Paar Sandalen. Und ich hatte noch ein paar Schuhe in der Hand, das ich gekauft hätte. Hätte. HÄTTE! Die wären es gewesen, die er bekommen hätte.

Gestern schon hatte ich so einen Drang nochmal zum Löwen zu fahren. Fühlte mich so weit weg von ihm. Heute war der Drang noch viel stärker, obwohl ich morgens schon dort war. Also setzte ich mich ins Auto und die Tränen liefen. Tränenmeer ganz voll. Viel Gefühlstsunami. So viel Loch, Trauer, Wut, Hilflosigkeit. So viel Durcheinander im Kopf, Herz und Bauch. Nur wohin damit?

Ich schicke euch Sonne

die Löwenmama

 

Ganz große Scheiße

6. Februar 2012

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Eiseskälte hat es zur Zeit. Tags – 12 °C und mehr, die Nächte noch viel kälter.

So ähnlich fühle ich mich zur Zeit. Ich kann mich schon mitreissen lassen – z.B. wenn wir jeden Tag Schlitten fahren gehen hab ich Spaß – aber sonst macht sich gern Lethargie breit. Ich fühle mich teilweise wie gelähmt. So lang hat diese Lethargie noch nie angehalten. Meistens war sie nach zwei, drei Tagen wieder weg.

Ich versuche mich nicht hängen zu lassen, habe aber oft das Gefühl mich am liebsten ins Bett zu legen und mir die Decke über den Kopf zu ziehen. (das bin nicht ich!) Trash-TV zu kucken (ich verachte Trash-TV) und einfach wirklich nichts zu tun. Stundenlang stupide und völlig sinnfreie Computerspiele (das bin ich eigentlich auch nicht) zu zocken. Aber das geht natürlich nicht.

Ich schau an manchen Tagen in den Spiegel und denke mir: „Ich wußte gar nicht, das man Scheiße so hoch stapeln kann!“ und mach trotzdem irgendwie weiter.

Es gibt so lähmende Tage wo man einfach nur drauf wartet, das er so schnell aufhört wie er angefangen hat. Man ist kaum dazu in der Lage, die Zeit sinnvoll zu nutzen. Eine ganz liebe Mitleserin hat mir etwas geschickt, ein wirklich gutes Lebensmotto für solche Tage: „Things to do today: 1. to get up, 2. survive, 3. go back to bed“. Das trifft es wirklich sehr gut!

Das Wetter, ja das Wetter. Ich würde mir wünschen, auch wenn grad viel die Sonne scheint, das schnell Frühling wird. Ich hätt so gern wärmende Sonne, Blumen, Schmetterlinge, sprießendes Gras. Der Duft von Frühling oder frischem Regen an einem lauen Sommertag. Diese Kälte – brr. Das ist grad nix für mich.

Das ist alles grad wirklich blöd, blöd, blöd.

Für mich ist gestern wieder ein ganz persönliches Wunder geschehen. Johannes starb am Geburtstag von S., sie ist das Mädchen meiner ehem. Hospizbegleitung (in der ich nun übrigens einen sehr lieben Menschen gefunden und behalten 😉 habe *ich schick Dir einen ganz lieben Gruß*). S. ist schon vor einiger Zeit ins Sternenland gereist. Irgendeinen Sinn hatte es wohl, das Johannes ausgerechnet an ihrem Geburtstag starb. Es gibt so viele Tage im Jahr, warum ausgerechnet an diesem? So viel Zufall kann es gar nicht geben. Ich mag es zumindest nicht glauben.

Gestern war nun ihr Sternenreisetag und wir haben ihr ein Licht und ein Schneckenhaus gebracht. Mein Großer gab es mir und ich legte es zur Kerze und er sagte: „Mama, hier, die kleine Schnecke auch, die gehört dazu!“. Tatsächlich war in dem großen Schneckenhaus nochmal ein ganz kleines mit drin. Ich konnte es kaum glauben. Für mich war das wie „nicht alleine, zusammen, die Große und der Kleine! Das war der Wahnsinn. Ganz, ganz stark.

Mein Baby fehlt mir so sehr. Ich vermisse ihn so. Tränenmeer. Gefühlstsunami. Finde das alles so gemein. So ungerecht. Alle Lebenspläne über den Haufen geworfen. Alles anders. Alles blöd. So viel kaputt. So viele Chancen genommen. Finde mich nicht. Habe das Gefühl auf der Stelle zu treten. Manchmal wie gelähmt. Nicht die Perspektiven, die ich mir gewünscht habe. Mein verträumter Blick in die Zukunft war so ganz anders, aber das Leben kann verdammt gemein und eklig zu einem sein. Träume und Wünsche, die nicht einfach so zu verwirklichen sind. Gleich nochmal bestraft. (Stichwort Kinderwunsch, Genschrott, autosomal rezessiv) Und wenn man Mut hat, vielleicht gleich nochmal auf die Fresse. Davor Angst. Und dann heult man wieder seinen Träumen und Wünschen hinterher und fühlt sich so hilflos dem Ganzen Genschrottthema gegenüber. Warum nicht nur ein gestorbenes Kind, sondern das Folgerisiko nochmal hinterher?

Meinen Löwen kann man nicht ersetzen, aber meine Familie fühlt sich so zerrissen und nicht komplett an. Ein Loch, eine große Wunde. Einfach nicht komplett.

Das ist alles eine ganz große Scheiße!

Es grüßt euch

die Löwenmama