Wir sind heut geflüchtet. Einfach woanders hin, was anderes sehen. Eigentlich wollten wir auswärts übernachten, haben aber kein Zimmer mehr gekriegt. Egal. Vor seinen Gefühlen kann man eh nicht flüchten – das habe ich heute gemerkt.
Ganz im Gegenteil, jetzt sind sie da. Ich dachte die Tage schon, mit mir stimmt irgendwas nicht. Ich dachte schon, ich kann gar nicht richtig traurig sein. Aber heute kamen wir nach und nach immer mehr zur Ruhe, standen auch mal im Stau, hingen unseren Gedanken – mal einfach nur so für sich – nach und dann kamen die Gefühle. Und die Tränen. Die Trauer. Der Verlust. Dieses Loch, das der Löwe so plötzlich hinterlassen hat.
Die letzten Monate war er einfach nur da, unfähig irgendwas aktiv zu tun. Kein Lachen, keine Bewegung, …! Es waren so viele Handgriffe zu tun, so viele Handgriffe, die einem eigentlich auch zuwider waren: absaugen, sondieren, Magensonde legen, klistieren, … aber man hat sie getan, weil sie einfach nötig waren. Man wollte, das es ihm gut geht. Es gab so viele schlaflose Nächte. So viele Tränen, die man schon vorab ins Tränenmeer gekippt hat. Der kleine Löwe war so hilfsbedürftig und konnte nichts tun – aber wir liebten den kleinen Knopf einfach nur so, wie er war. Einfach nur um seinetwillen.
Er ist nicht mehr da. Aber diese Liebe ist so stark. Das tut so weh. Ich stand jetzt schon oft vor seinem Grab. Teils mehrmals am Tag. Ich fühle mich furchtbar leer. Ich kann es nicht ertragen mich umzudrehen und einfach zu gehen. Am Mittwoch war es am schlimmsten. Morgens wird er in dieses Loch gelegt und abends ist er die erste Nacht nicht daheim. Mein Baby dort unten, in diesem tiefen, kalten Loch. Ich kann gar nicht beschreiben, wie es in mir aussieht, wenn ich darüber nachdenke.
Er fehlt mir so sehr. Er fehlt mir einfach so, so sehr. Ach Du kleiner Stinker. Ich würd so gern nochmal in Deinen Löwensträhnen wuscheln. Dir über Deine kleine, hübsche Nase fahren. Aber sie war am Schluß so kalt und das war nicht mehr das, was es einmal war. Deine Sachen riechen noch nach Dir. Irgendwann wird das verflogen sein. Und dann?
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Ich komm gedanklich grad nicht so gut damit klar, dass es ihm jetzt dort besser gehen soll, wo er ist. Gibt es diesen Himmel wirklich, von dem wir träumen? Oder egal ob es „der Himmel“ ist. Gibt es diesen Ort, wo wir uns wiedersehen? Ich habe Angst davor, dass ich mir was vormache. Ja, da war dieser Marienkäfer. Das war so deutlich, das kann kein Zufall gewesen sein. Mich macht das furchtbar unruhig, das ich nicht weiß, ob es diesen „Himmel“ gibt. Ob er dort wirklich sich bewegen, lachen, gesund sein kann. Mich würde der Gedanke so glücklich machen, dass er dort die Ururoma, den Uropa, … um sich hat. Das es ihm dort gut geht. Aber ich bin mir so unsicher, dass es wirklich so ist. Werden wir uns wirklich wiedersehen?
Ich habe Angst, dass ich ihn jetzt gerade im Stich lasse. Ich kann nichts mehr für ihn tun. Nicht mehr, als verdammte Kerzen anzünden. Zum Friedhof fahren und „Gute Nacht“ sagen. Bald Blumen pflanzen. So wie gestern eine Laterne kaufen und eine selbst gebastelte Löwenkerze reinstellen und ein Windrad zwischen die ganzen Blumenherzen stecken. Das ist doch scheiße!
Traurige Grüße aus dem Tränenmeer
die Löwenmama