Posts Tagged ‘Glück’

Nabelschnur durchschneiden – die Zweite

24. November 2012

Ich hatte ja schon geschrieben, dass wir mit der molekulargenetischen Untersuchung noch nicht durch sind, weil das Blutergebnis nur teilweise einen aussagekräftigen Befund ergab und wir glücklicherweise noch die Plazenta von Johannes (und die seiner Schwester) in der Gefriertruhe haben – für ein Geburtsbäumchen. Anhand eines kleinen Stückes der Nabelschnur möchten die Genetiker nun versuchen, den Gendefekt, der bei Johannes zu dem Mb Krabbe führte, darzustellen um einen Vergleichsbefund zu haben.

Nachdem wir vor ein paar Tagen die Röhrchen für die Proben von der Genetik bekamen, stand uns nun diese Mission bevor. Dummerweise konnten wir am Ende nicht ausschließen, dass die in verschiedenen Schubladen im Gefrierschrank aufbewahrten Plazenten nicht vertauscht wurden. Wirklich saublöd. Aber als ich sie gestern aus der Kälte holte, war die, die wir unserer Tochter zuordneten tatsächlich in kleinere Beutel verpackt, als die des Löwen, der ja zu Hause geboren wurde. Die kleineren Beutel können demnach nur aus dem Geburtshaus stammen, wo die Plazenta meiner Tochter gut eingetütet wurde. Wir haben solche Beutel noch nie gekauft. Das ist schonmal großartig, weil so gezielt das untersucht werden kann, was auch untersucht werden soll. Spart Zeit und Geld.

Jetzt bangen wir natürlich, dass man mit dem Nabelschnurgewebe überhaupt noch etwas anfangen kann. Ob Johannes sein Geheimnis doch noch preisgibt?

Es war schon eine Herausforderung muß ich sagen. Als ich gestern die beiden Plazenten aus der Gefriertruhe holte, flossen erstmal Tränen. Ich habe sie erstmal antauen lassen um die in das Gewebe reingefrorenen Beutel unbeschadet lösen zu können. Danach wanderten beide Beutel mit dem wertvollen Gefriergut in den Kühlschrank, um möglichst schonend aufzutauen. Gestern abend dann fühlen, ob schon weit genug aufgetaut – nein. Also wieder rein in den Kühlschrank.

Heute nach dem Frühstück Oberflächen desinfiziert, für was das Zeug vom Pflegedienst (wir sind noch recht gut versorgt) alles gut ist. Sogar ein Skalpell hatten wir noch in unserem Fundus. Handschuhe an und dann die Proben nehmen, in die Röhrchen geben und mit isotonischer Kochsalzlösung auffüllen. Es war schon ein eigenartiges Gefühl, die Nabelschnüre nochmal durchzuschneiden. Aber der Löwenpapa und ich haben das gut hinbekommen.

Er bringt die Proben gerade zur Hauptpost in die Stadt, damit das heute noch rausgeht.

Wir hoffen nun auf einen aussagekräftigen Befund. Wäre das noch vor Weihnachten… das wäre gut. Dann könnte man das Thema Genetik gedanklich dieses Jahr zu Ende bringen und im alten Jahr lassen.

Für Daumen sind wir dankbar. Wir können sie gerade gut gebrauchen.

Bilder erspare ich euch heute. Das war schon eine etwas blutige Angelegenheit.

Herzliche Grüße

die Löwenmama

Sonne zwischen dunklen Wolken

3. Oktober 2012

Sonnenstrahlen zwischen vielen Wolken

Die Tage sah es so auf dem Heimweg aus. Und so oder so ähnlich fühlte ich mich auch. Einerseits sind da viele dunkle Wolken, die gern mal plötzlich zu regnen beginnen. Wenn man nicht damit rechnet oder es gerade gar nicht brauchen kann. Andererseits schiebt sich plötzlich wieder die Sonne dazwischen und zaubert ein wundervolles Bild und für den Moment macht sich sowas wie Hoffnung breit. Aber irgendwie sieht alles ein wenig bedrohlich und nicht sonderlich vertrauenserweckend aus.

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Ich sagte gestern Abend zum Löwenpapa, dass unser Leben einfach nicht mehr in Ordnung ist. Wie glücklich ich war, als Johannes geboren war. Die ersten Tage mit ihm. Wochenbett, meine Kinder im Arm, auf der Bettkante, der Löwenpapa daneben. Es war so etwas Vollkommenes. Vollkommenes Glück. So greifbar. So besonders.

Ich schrieb einmal, dass mit der Diagnose unser Leben in eine große Kiste geworfen wurde, Morbus Krabbe dazu, Deckel drauf und schütteln, schütteln, schütteln. Alles auf den Boden werfen und: „Jetzt macht was damit.“ Und dann sitzen gefühlt alle da und versuchen zu defragmentieren. Und man wägt ab, ob man nach Formen, oder vielleicht doch nach Farben sortiert? Und man fängt an zu sortieren, denkt so geht es, dann scheint es aber anders doch besser und man schmeißt wieder alles durcheinander und fängt von vorne an. Aber halt auf die andere Art und Weise.

Irgendwie kommt es mir so vor, als wären wir immer noch am defragmentieren. Wir saßen nun schon eine Weile am Sortieren und warfen immer wieder alles zusammen, um es anders zu machen und trotzdem paßte es irgendwann nicht und man begann von Neuem.

Werden wir es irgendwann sortiert bekommen? Bekommen wir irgendwann unser Lebens-Chaos/Chaos-Leben wieder in Ordnung?

Hechten wir noch unseren Idealen nach ohne zu überprüfen, ob es noch unsere Ideale sind? Oder die des Einzelnen?

Ich hatte früher sehr konkrete Vorstellungen von meiner Zukunft. Wünsche, auch Träume. Ich krieg das nicht mehr hin. Wenn mich früher wer gefragt hat, wo ich mich in einem halben Jahr, einem Jahr, in fünf Jahren sehe, hätte ich sofort eine Antwort parat gehabt. Fragt man mich heute, weiß ich nicht mal mehr, was nächstes Woche um diese Zeit ist. Es fällt mir so schwer, mich auf Wünsche und Träume einzulassen. Welche zu entwickeln. Darauf zu vertrauen, dass sie in Erfüllung gehen könnten!

Könnten sie tatsächlich in Erfüllung gehen? Warum sollten sie? Warum sollten sie nicht? Ja, warum sollten sie nicht? Weil ich es schwieriger finde, dass etwas klappt, als das es nicht klappt. Das etwas in die Hosen gehen kann ist viel wahrscheinlicher.

Über sowas hab ich mir früher nie Gedanken gemacht. Ich dachte immer, es wird schon irgendwie gehen. Und dann ging es nicht. Nicht mal irgendwie. Es ging einfach nichts mehr.

Nachdenkliche Grüße

die Löwenmama

Smalltalk

2. Juli 2012

Man überlebt ganz gut. Eigentlich ist alles ok so gut wie es sein kann.

Und dann kommt wieder so ein Moment. Dann passiert es. Eine Situation, die einen wieder völlig überfordert. Eigentlich einfach nur ein Stück des ganz normalen Lebens, das man vorher gelebt hat. Selbstverständlichkeiten, die nicht mehr selbstverständlich sind. Man rechnet gar nicht damit.

Und es fühlt sich an, als sei Johannes eben noch einmal gestorben.

Diese Hilflosigkeit ist wieder da. Diese Unerträglichkeit der Zeit. Sie scheint still zu stehen. Diese körperliche Unruhe treibt einen schon wieder um, die Gereiztheit ist zurück und es geht schon wieder nur darum, diesen einen verdammten Tag zu überleben um zu fühlen, ob der nächste Tag sich noch genauso unerträglich anfühlt oder ob es schon ein bißchen besser ist.

Man fühlt sich so zurückgeworfen. So unfähig am normalen Leben teilzunehmen. Ein bißchen außerirdisch vielleicht. Und man fragt sich: Wird es jemals anders? Kann man das irgendwann wieder?

Es war ein wunderschönes Sommerfest. Sehr mühe- und liebevoll vorbereitet von den Gastgebern. Viele Mensche, die man schätzt und gerne ein paar Worte mit ihnen wechselt. Lange nicht gesehen hat. Ein ganzer Haufen Kinder. Sonne. Lachen. Alles da, um glücklich zu sein.

Und da ist er, der verdammte Smalltalk. Und ich kann es so gut verstehen, so gut nachvollziehen. Respekt und Danke an die, die mit uns gesmalltalked haben.

Smalltalk ist sowas übliches. Und sowas leichtes. Und doch so schwer. Über was smalltalked der Mensch? Über die Arbeit, die Familie, Kinder!!, den Urlaub, irgendein x-beliebiges T’hema und vielleicht aus purer Verzweiflung noch das Wetter.

„Und, wie schmeckt das Arbeiten?“ „Wie geht`s voran am Bau?“ „Diese Hitze heute ist krass, ich hoffe, dass es kein Unwetter gibt während des Festes.“

Ein paar Mutige haben gefragt, wie es uns geht. Ich fürchte diese Frage inzwischen, wenn ich weiß, derjenige weiß eigentlich gar nicht, was bei uns los war. Hat nur mitbekommen, dass unser Johannes gestorben ist. Weiß nicht, woran. Weiß nicht, wie wo was. Vermutliches wird dieses Gespräch nicht über Smalltalk hinausgehen. Dafür taugt dieses so sensible Thema nicht. Also lügt man und sagt „gut“ oder „paßt schon“. Floskelt so vor sich hin.

Und ich für mich spürte, ich bin für solche Veranstaltungen (noch) nicht (mehr?!) gemacht. Zog mich zurück. Mied Blickkontakt. Mied Smalltalk. Denn für die Stolpersteine der anderen bin ich nicht bereit. „Ah, Deine Frau ist schwanger, ihr bekommt ja wieder ein Baby! Wißt ihr schon, was es wird?“ oder was in der Art.

Smalltalk ist mir ein Graus, aber ich verbuche ihn unter notwendiges Übel. Übergrenzwertig wurde es, als mein Mädchen mit den anderen Kindern zu spielen begann und ich dabei saß, um sie im Auge zu behalten. Es waren Kinder in Johannes Alter, also so alt wie er jetzt wäre, dabei. Als sie mit einem kleinen Mädchen spielte, konnte ich meine Tränen kaum verbergen. Ich kannte die Mutter des Kindes nicht und lächelte mehr gezwungen, antwortete zurückhaltend, stellte keine Gegenfragen. Klar, auch hier holt mich natürlich dieser dumme, dumme Smalltalk wieder ein. „Und, wie alt ist Deine Kleine?“ „Wie heißt sie denn?“ etc. pp

Ich hatte keine Lust zu fragen, wie ihre Kleine heißt. Und ich wollte auch nicht wissen, wie alt sie ist. Sie empfand mich sicher als unhöflich, arrogant, verschroben, oder einfach nur doof. Weil sie antwortete, obwohl ich nicht fragte und mit „ah, schön“, „aha“ antwortete und auch alle anderen Bemerkungen „ach, das hat sie von ihren größeren Geschwistern, sie ist das Kleinste“ ignorierte oder sehr kurz angebunden kommentierte.

In mir schrie es „ich will hier weeeeeeg!“ aber mein Mädchen kam der Aufforderung zu gehen, nur sehr zögerlich nach. Und ich fühlte mich auch schlecht deswegen, weil sie sich so freute, einen Spielkameraden zu haben. Und ich kann es so verstehen. Und dann soll sie aufhören zu spielen, weil Mama warum auch immer gehen will. Blöd.

Ich sehe Johannes dort statt des Kindes mit meinem Mädchen spielen. Aber Johannes ist tot. Johannes spielt nicht mit ihr. Das war aber der Plan. Und ich fühle mich fassungslos hilflos. Klage an. Kämpfe mit den Tränen. Spüre diesen körperlichen Schmerz als würde man mich schlagen, immer härter.

Und dann ist sie wieder da, diese Taubheit. Diese Unruhe. Die Unerträglichkeit. Die Zeit, die scheinbar still steht.

Und es fühlt sich an, als wäre er soeben noch einmal gestorben.

 

 

Bügelperlen haben etwas meditatives. Und sie sind herrlich bunt. Und schwupps, schon kam da was angehüpft…

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Viele Grüße

die Löwenmama

 

Grell, bunt, laut – und so stumpf.

17. April 2012

Ja, so stellte ich mir unseren Aufenthalt in London vor. Grell, bunt und laut. Und so war es dort irgendwie auch. Aber ich empfand es als so stumpf. Ich brauchte eine Weile, bis ich das Gefühl als solches überhaupt ausmachen konnte, bis ich für mein sich blöd anfühlendes Empfinden Worte fand. Wir stellten fest, es ist für uns beide so. Und ich brauchte ein bißchen Zeit, um die richtigen Worte dafür zu finden und ich weiß nicht mal, ob ich beschreiben kann, wie es sich anfühlte.

Es fehlte – dieser Enthusiasmus. Man hat die Kinder gut versorgt zu Hause gelassen und weiß, wir haben Zeit für uns. Zeit für die Partnerschaft. Eine riesengroße und richtig geile Stadt lockt und wir können alles tun, was uns in den Sinn kommt. Alles ausprobieren, es so richtig rocken lassen.

Und dann ist man dort. Mit dem Kopf vielleicht noch nicht ganz angekommen, aber spätestens beim ersten Knaller kommt dieses Gefühl, dieses „ach wie geil, schau doch, Wahnsinn„… und das fehlte. „Ach ja, das ist nett. Wow, stark“. Sehr verhalten. Nicht dieses „cool, was schauen wir uns als nächstes an“ nach der Karte kramend und schon halb in der U-Bahn stehend. Eher dieses „da fehlt der Knaller, haben wir schon alles gesehen?“-Gefühl und „ok, was könnten wir als nächstes machen…“. Und dann fährt man halt und erlebt es ganz ähnlich.

Es fühlte sich alles dumpf an und mir wurde am dritten Tag klar, warum. Im Alltag funktionieren wir wunderbar. Alles ist festgelegt von außen durch Dienstpläne, Stundenpläne, Busfahrpläne, Trainingspläne, Spielpläne, … man hat seine täglichen „do`s“ und macht einfach sein Ding. Und plötzlich steht man da in blinke-blinke London, hat alle Zeit der Welt, wird regelrecht erschlagen von allen möglichen Eindrücken und soll es richtig rocken lassen. Und man wartet und wundert sich, fragt sich was mit einem los ist und dieser Funke springt verdammt nochmal einfach nicht so richtig über.

Da ist sie dann, diese Trauer, die im Alltag nicht so richtig Zeit hat rauszukommen. Wo man denkt, man ist so weit und man ist es nicht. Man ist nur weit weg davon. Aber nicht weit gekommen. Versteht ihr, was ich meine?

Diese paar Tage Auszeit haben mich überrumpelt. Haben mich vor die Herausforderung gestellt, nicht nur zu funktionieren, sondern aktiv zu sein. Einfach „ich“ zu sein. Und ich konnte es nicht gut. Es gelang mir irgendwie nicht.

Ich schrieb einmal, das die Welt seit des Löwen Tod nicht mehr so bunt ist, wie sie einmal war. Und das meine ich wirklich so, wie ich es schreibe. Wortwörtlich. Ich kann es gar nicht anders beschreiben. Sie ist blasser. Einfach nicht mehr so bunt. Und das war in London, in diesem lauten, grellen, bunten, blinkenden London so deutlich spürbar.

Da ist es wieder dieses Thema mit der Freude. Mit dem fühlbaren Glück. Sich nicht mehr so sprühend über etwas freuen können. Vielleicht fühlt sich dann einfach auch so ein London-Trip so an. Das man einfach lernen muß, dass es anders ist. Es war ja nicht schlecht in London. Es waren schöne Tage, sehr wertvolle Zeit mit meinem Mann. Besondere Augenblicke und Eindrücke die einen bereichern. Aber der Fokus ist ein anderer. Unsere Erwartungen waren es, die sich anders anfühlten. Vielleicht müssen wir das neu lernen.

London mit meinen Augen:

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Mit anderen Augen habe ich eine Holocaust-Ausstellung gesehen. Ich fand mich zum ersten Mal in der Opferhaltung wieder. Man betrachtet so eine Ausstellung mit Widerwillen, mit Abscheu, ist erschrocken, vielleicht treten einem auch Tränen in die Augen. Man ist angeekelt und angewidert und kann gar nicht verstehen, was da damals mit den Leuten passiert ist. Zumindest ich empfinde solche Ausstellungen und beobachte ähnliche Reaktionen bei Umstehenden.

Ich fand mich vor einem Glaskasten wieder. Da lief ein Propaganda-Video. Menschenmenge, Nahaufnahmen und jeder vierte Mensch war ein Behinderter. Im Hintergrund eine Stimme: „Wenn wir jetzt nicht eingreifen, wird das unsere Zukunft sein. In 50 Jahren ist jeder vierte ein Behinderter, Seite an Seite mit unseren Kindern. Wollen wir das? Davor müssen wir uns schützen.“ (nicht exakter Wortlaut, aber sinngemäß und so ähnlich wie ich es halt noch im Kopf habe)

Im Glaskasten lagen Bücher wie „Gattenwahl“ und „Rassenlehre“ aus und ein Buch war aufgeschlagen. Gezeigt wurde anhand von Bildern, wie man Sterilisationen medizinisch durchführt. Zwangssterilisationen. Und mir wurde schlagartig klar, ich wäre damals ein Opfer gewesen. Man hätte mich zwangssterlilisiert. Und den Löwenpapa auch. ZWANGSSTERILISIERT! Wegen unseres Genschrotts. Den Morbus Krabbe kannte man damals ja schon…

Ich tat mir schwer damit. Diese Gedanken daran, wie die das mit mir, mit uns gemacht hätten. Man kann diese Gedanken nicht einfach beiseite schieben. Mir stiegen die Tränen in die Augen, meine Wangen waren heiß. Was hätten sie mit meinem kleinen Löwen gemacht? Wieder die Stimme: „Wir pflegen sie liebevoll, aber wir wollen sie nicht und werden mit aller Macht verhindern, dass sie geboren werden.“ (sinnentsprechend, kann den Wortlaut nicht genau widergeben)

Mein kleiner Löwe, den wir geliebt haben bis zum letzten Moment und immer noch so sehr lieben. Den wir randvoll angefüllt haben mit Liebe und Streicheleinheiten. Nicht weiterdenken will ich. Gedanken bremsen, stoppen. Geht nicht gut. Raus hier. Zu viel.

Viele Gedanken habe ich mitgebracht von dieser London-Reise. Es lebt sich gerade nicht locker leicht. Ich bin nachdenklich, hinterfrage mein bisheriges Leben, fühle als hätte ich so viel falsch gemacht. Nie was richtig gemacht. Nie was fertig gemacht. Als wäre alles so viel schief gelaufen. Ist es natürlich nicht, aber rückblickend frage ich mich, warum das so ein gefühltes Durcheinander ist. Auch wenn es schon ok ist, so wie es ist. Aber ich hätte es mir anders vorgestellt.

Mit 22 Jahren ungeplant schwanger geworden (Wunschkind zum falschen Zeitpunkt 😉 ). Kein Beinbruch, Ausbildung beendet, ein Jahr gearbeitet und eigentlich begann es gerade richtig Spaß zu machen. Geheiratet. Aber im Leben ist wie es ist und zuweilen geht man plötzlich ganz andere Wege.

Ich freute mich und genoss es Mutter zu sein. Drei Jahre war ich zu Hause, die Ehe ging in der Zeit in die Brüche und ich war alleinerziehend. Dann eine neue Liebe und 2008 wurde unser Mädchen geboren. Perfekt! Sie war unser Hochzeitsnachtsbaby. Im Auto auf dem Weg ins Geburtshaus geboren. Merkt ihr? Immer Grenzgänger.

Alles sollte so sein und wir waren so glücklich. Wieder hatte ich aufgehört zu arbeiten, Elternzeit. Die Zeit mit den Kindern mitnehmen, genießen. In sich aufsagen, dieses ganze Glück! Ich hatte beruflich ein bißchen was erreicht und weil ich es dieses Mal richtig machen wollte und wir noch ein Kind wollten (ich bin eine Vielkindmama, ich liebe Kinder und wollte ganz viel Kinderlachen um den Tisch) und wir einen kurzen Altersabstand toll fanden, haben wir es wieder gewagt.

Ich wußte, es wird streßig. Ich wußte, das wird knackig, bis das jüngste Kind vielleicht ein Jahr ist. Dann wird es leichter. Alle Strapazen auf mich genommen. Es war so ein scheiß heißer Sommer und ich trug Kompressionsstrümpfe. Nicht selten schwitzte ich so sehr, dass ich sie nach der Toilette nicht mehr hoch bekam. Trug meine Kleine viel und stillte. Und sagte mir immer, „wenn das Baby da ist und Du es im Arm hälst, weißt Du für was Du das getan hast“.

Für was? Frage ich mich heute. Das ich Kerzen auf den Friedhof trage? Spießrutenläufe im Supermarkt hinter mich bringe, weil die süßen kleinen Zwerge vorne im Einkaufswagen sitzend mich so süß angrinsend? Weil ich meinen Johannes dann da sitzen sehe, so wie ich gedanklich irgendwann irgendwo hängen geblieben bin, wie er jetzt wohl sein würde?

Aber weiter in meiner Gedankenschleife. Alles richtig machen wollte ich ja. Logisch planen. Erst noch ein Kind bekommen und dann wieder arbeiten gehen. Und wieder machte mir das Leben einen Strich durch die Rechnung. Mein Baby ist tot. Jetzt habe ich wieder angefangen zu arbeiten. Arbeite mich wieder neu ein. Es macht Spaß. Sehr viel Spaß sogar. Ich bin richtig gefordert. Die Einarbeitung ist anstrengend. So viel vergessen, so viel neu und anders. Aber fange ich jetzt wieder an zu arbeiten und schmeiß dann alles erneut hin, weil wir uns vielleicht doch nochmal für ein Kind entscheiden? Welche Möglichkeiten hätten wir überhaupt? Die genetische Beratung steht noch aus. Oder lassen wir es einfach? Will ich überhaupt? Trau ich mich? Ich hab Angst! Wo bleibe eigentlich ich?

Oder arbeite ich, mach im Job mein Ding, gebe meiner Angst nach und bereue es irgendwann? Das ich zu feige war und Glück verschenkt habe? Das ich nicht das gemacht habe, was mir wirklich wichtig war im Leben?

Was ist heute? Was ist morgen? Mein Urvertrauen ist ein einziger Schrotthaufen geworden. Früher dachte ich mir, „das krieg ich schon irgendwie hin, das fügt sich schon irgendwie, …“. Heute hadere ich mich, kann nichtmal bei den simpelsten Sachen darauf vertrauen, dass das schon rutschen wird. Stelle alles in Frage, traue mir viel weniger zu und das bremst so sehr. Das ist so anstrengend.

Ich traue mich nicht mehr zu träumen, weil das Ende offen ist. Das war es vorher auch, aber weil man darauf vertraute, dass es schon irgendwie klappen wird, konnte man sich diese Bilder bunt und fröhlich ausmalen, die Träume leben. Und das machte so viel Spaß auch wenn viele Träume Träume blieben.

Jetzt plane ich zwar, gehe aber sehr verhalten an Pläne ran. Es könnte ja jede Sekunde schief gehen. Ich arbeite sie ab, aber leben tu ich Träume erst, wenn sie keine mehr sind. Wenn der Plan aufging und das Geplante umgesetzt werden konnte, wird es gelebt. Aber die bunten Stifte zum Ausmalen der Träume sind verschwunden. So macht träumen keinen richtigen Spaß. Lernt man das wieder? Oder bin ich jetzt einfach verkorkst?

Oder doch ver-rückt auf Lebenszeit.

Eine Falte hab ich bekommen. Eine Falte des Lebens. Auf der Stirn zwischen den Augenbrauen. Eine Sorgenfalte hat sich tief eingegraben. Meine Johannes-Falte nenn ich sie inzwischen. Ich mag sie. Sie zeigt, ich lebe.

Es grüßt mal wieder aus einem wirren Gedankenchaos

die Löwenmama

Glück und Freude – eine Frage des Blickwinkels

13. Dezember 2011

Was ist Glück? Wie fühlt sich glücklich sein an? Was ist echte Freude?

Ich habe mir aus der letzten Stunde mit der Psychologin was mitnehmen können.

Ich habe die Frage gestellt, wie man wieder von ganzem Herzen und ganz frei Glück empfinden kann. Wenn ich wegen irgendwas lachen mußte oder irgendwas passierte, wo ich so einen ersten Glücksmoment hatte, kam über die eine Schulter plötzlich das Teufelchen und sagte: „Du hast eigentlich keinen Grund glücklich zu sein!“. Mein Lachen erstarb. Ja, der Teufel hat recht. Mein Baby ist tot, alles ist scheiße. Und nichts war mehr schön.

Ich habe einen neuen Blickwinkel erfahren, Freude und Glück zu empfinden. Früher fühlte sich Glück sehr federleicht an. Es war ein von Leichtigkeit beschwingtes Gefühl. Diese Leichtigkeit ist nicht mehr da. Ich habe immer überlegt, wie man die wieder gewinnt. Wie sie wieder zurückkommen kann.

Ich bin aber nicht darauf gekommen, dass sie vielleicht gar nicht mehr zurückkommt, diese Leichtigkeit. Das ein echtes Glück, eine pure Freude aber sich auch ganz anders anfühlen kann und sich vielleicht seit dem ganzen Kummer mit Johannes auch ganz anders anfühlen wird und diese Leichtigkeit abgelöst hat.

Das dieses Glück nicht kribbelig ist wie ein leckeres Glas süßer, prickelnder Sekt, sondern eher tief und dunkel und sehr intensiv ist, wie ein trockener, sehr dunkler Rotwein. Das es ein Gefühl ist, das sich nicht nach oben verflüchtigt und ganz hell und flimmerig wird, sondern sich tief unten warm und langsam ausbreitet, bis es sich gleichmäßig verteilt hat.

Ja, so fühlt es sich für mich an, diese andere Art von Glück, die ich vielleicht bis jetzt zu wenig beachtet habe, als wertloser erachtet habe, nicht als solches erkant hatte und deswegen nicht gut zulassen konnte.

Dieses Glück ist ein anderes. Ein bewußteres. Diese Freude ist keine so leichte, sondern eine bodenständige – aber sehr bewußte.

Ich danke für diesen Blickwinkel, er ist mir sehr wertvoll!

Ein inneres Theater habe ich im Kopf. Das spielt gerade sehr aktiv und es wächst. Sehr interessant. Diese Psychologin ist wirklich Gold wert! Ich möchte gerne von meinem inneren Theater erzählen, wenn es seine ganze Form angenommen hat.

Es grüßt euch

die Löwenmama

„Du trägst den Löwen immer in Deinem Herzen“

5. November 2011

Dieser Spruch im Titel begleitet uns ständig. Es soll wahrscheinlich ein tröstender Gedanke sein und  bitte, wer das mal gesagt oder geschrieben hat, das ist total ok, denn ihr wolltet ja was tröstendes sagen/schreiben und das ist mehr als schwer die richtigen Worte zu finden, denn was ist schon richtig. Mir ist lieber was sagen und vielleicht für mich nicht die richtigen Worte zu finden, für wen anderes kann es ja tröstlich sein und umgekehrt, als wegzuschauen und mich stehen zu lassen. Ich wollte aber einfach generell ein paar (meine) Gedanken dazu loswerden.

Für mich ist das – zumindest für den Moment – gar kein tröstlicher Gedanke, den Löwen „für immer in meinem Herzen und bei mir“ zu tragen. Ich würde ihn x mal lieber in meinem Arm tragen und in meinem Herzen ist verdammt weit weg. In meinem Herzen tut mir gerade nur weh. Es zerreisst mich. Es soll in mir sein. An meiner tiefsten Stelle. Aber dann würde es doch nicht nur weh tun.

Unter meinem Herzen trug ich ihn 10 Mondmonate lang. Unter meinem Herzen war er ja da, ich habe ihn gespürt. Wir konnten streicheln, stupsen, uns fühlen. Er war zwar in mir drin, aber da.

Jetzt soll er in meinem Herzen sein und ich trag ihn immer bei mir? Das kann ich so nicht fühlen. Vielleicht irgenwann. Aber jetzt nicht. Er liegt in seinem kalten, dunklen Grab, das auch mal meins sein wird. Ich bin jeden Tag dort und ihm näher, obwohl so viel Erde zwischen uns liegt, als wäre er in meinem Herzen.

Ich häng grad durch. Ich höre mich lachen und weine innerlich. Ich reisse Witze, die ich gar nicht lustig finde. Ich laufe aufrecht und fühle mich innerlich so gebrochen.

Es tut so gut, dass alle für mich da sein wollen. Ich möchte mir, aber auch den anderen gerecht werden. Aber mein Leben überfordert ich. Hier sieht es aus wie Sau, soviel Unordnung der letzten Monate, der ich nur langsam beikomme. Es tut gut, rauszukommen. Aber ich hab fast zu wenig Zeit, um überall hinzukommen, wo ich hin will. Nicht hin muß, sondern hin will. Wo ich anrufen möchte. Nicht muß, sondern möchte.

Das Leben überflutet mich gerade, es reißt mich mit. Keine Rettungsweste. Sturmflut und ich mittendrin. Ich treibe immer noch in diesem Meer, aber es ist gerade ziemlich wild und ich hab keine Ahnung, wann es mich wo ausspuckt. Ich hätte gern etwas mehr Beständigkeit in meinem Leben, hab aber keine Ahnung, wie das geht.

Tausend Sachen in meinem Kopf, die ich machen möchte. Völlig überreizt. Und nicht dazu in der Lage, einem simplen Fernsehfilm zu folgen.

Ich hätte gern das neue Jahr. Neues Jahr, neues Glück. 365 neue Tage. Ich hoffe nur, dass ich bis dahin etwas mehr Struktur in mein, in unser Leben, gebracht habe. Vermutlich sollte ich aber der verstreichenden Zeit vertrauen…

Es grüßt euch aus einem völlig verrückten Durcheinander des Lebens

die Löwenmama