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Lebenszeichen – und „Neid ist nicht gleich Mißgunst“

25. Juni 2013

Hi an euch alle da draußen,

ich habe hier sehr lange nichts mehr geschrieben. Sicher nicht, weil ich nichts zu sagen gehabt hätte, aber die Themen, mit denen ich mich in den letzten Monaten rumgeschlagen habe, in meinem Kopf und meinem Herz, waren nicht für die Öffentlichkeit eines Blogs bestimmt. Ich mußte mir über manche Sachen erstmal selbst klar werden, das war für mich ein schwieriger Prozess.

Und ich war etwas gehandicapt, da mein Netbook seit dem Umzug noch nicht internettauglich war und mit den anderen Medien im Haus ist posten langwierig und nervig und nicht mal eben zu bewerkstelligen. Aber hier bin ich mal wieder und möchte ein paar Gedanken hier lassen.

Seit dem Einzug haben wir uns gut eingelebt und so langsam kennen wir hier auch die Leute rundrum und vom Kindergarten. Meine guten und schlechten Zeiten wechseln sich noch immer ab, aber ich habe jetzt bessere Zeiten, die auch gern mal länger werden. Aber die schlechten Zeiten – auch wenn sie nie allzu lang dauern – sind wirklich schlecht. Ich kann aber besser steuern, wann ich das „rauslassen“ kann. Und wenn ich dann für mich meine Ruhe habe, fließt es auch. Teils sehr heftig, aber ich fühle mich besser danach. Ich fahre dann oft zu Jo oder schaue mir zu Hause seine Bilder und Videos an, wühle in seinen Sachen, rieche daran und bin trauriger denn je, dass sie seinen Duft verloren haben. Sie riechen jetzt einfach nach uns und nicht mehr nach ihm. Mir ging damit etwas verloren. Aber es war klar, dass es irgendwann so sein wird.

Ich habe gestern eine Wortsammlung gemacht, rund um das Sterben meines Kindes. Ich fand es einfach mal wieder wertvoll, sich alle Emotionen dazu anzusehen und sie auch ohne schlechtes Gewissen zuzulassen. Auch die, die von außen sicher unverständlich sein könnten. Wie kann ich „froh“ sein? Doch, ich war es. Es war gut, das es vorbei sein durfte.

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Interessant fand ich, dass alles immer noch so zutrifft von meinem Empfinden her. Vielleicht waren kurz nach seinem Tod manche Worte ganz dick und heute sind sie es nicht mehr und andere sind dafür dick, die ich damals etwas in den Hintergrund gestellt hätte. Aber grundsätzlich hat sich daran nichts geändert. Ich bin unserem Kinderarzt heute noch dafür sehr dankbar, dass er mir bereits im Vorfeld gestattet hat, auch erleichtert und froh sein zu dürfen. Ich hätte sonst größte Probleme damit gehabt, mir auch diese Gefühle, die so gar nicht in das Ganze passen wollen, zugestehen zu können. Ich glaube nur deswegen konnte ich es mir erlauben, einfach so auch diese Gefühle zu leben.

Ich fahre inzwischen nicht mehr täglich zu Johannes. Ich fahre, wenn ich mag und es brauche. Das kann an manchen Tagen mehr als einmal sein, dann ein paar Tage gar nicht und ich fahre nur, weil die Kerzen mal wieder brennen sollten. Ich fahre teilweise auch bewußt nicht, weil es mir nicht gut tun würde. Ich war dieses Jahr vor und nach dem Muttertag, aber nicht an diesem Tag selbst, da ich mich dieses Jahr einfach nicht damit quälen wollte. Für mich ist es, als würde man mich schlagen, am Muttertag am Grab meines kleinen Stinkers zu stehen.

Wir haben immer noch unsere kleinen, süßen Begleiter. Man glaubt es kaum. Erst die Tage war ich mit meiner Tochter auf einer Familienwanderung, die der Kindergarten veranstaltet hat. Ich sah beim Picknick in der Wiese einen Marienkäfer und zeigte ihn ihr noch und wollte ihn fotografieren. Seht, was ich dann entdeckt habe, als ich den Fotoapparat aus dem Rucksack kramen wollte?
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Er ist immer dabei!

Aber ich stehe oft im Konflikt. Im Kinderturnen, bei solchen Wanderungen, bei Festen rund um die Kinder, kürzlich auf dem großen Indoorspielplatz… eine meiner beiden Hände ist immer leer, wo ich eine zweite kleine Hand halten sollte. Das tut weh und wird mir dann jedes Mal wieder so sehr bewußt. Und da kamen auch diese Gefühle des Neides in mir auf. Vor allem, wo ich ständig Schwangere um mich rum habe und Frauen mit ganz kleinen, frischen Babies. So langsam hat sich herauskristallisiert, dass das am schwersten für mich ist. Es sind nicht die Kinder, die jetzt so alt sind wie Jo wäre. Ich muß tatsächlich immer überlegen, wie alt er jetzt gerade im Moment wäre, die Zeit verschwimmt. Und was er könnte und was er wohl machen würde. Diese Gedanken kommen komischerweise immer hoch, wenn ich ihn besuche. Wenn ich erzähle, was wir gemacht haben. Da überlege ich mir oft, wie er wohl wäre. Was er mögen und nicht mögen würde. Wie die Kleine und er wohl rumzanken würden.

Nein, es sind die ganzen Mamas mit den Tragetüchern, mit den kleinen Zwutschgis auf dem Arm oder die mit dem dicken Bauch. Die setzen mir ordentlich zu. Ich habe mir große Vorwürfe gemacht, weil ich Neid irgendwie mit Mißgunst gleichgesetzt habe. Macht man das allgemein so? Ich habe mich nun mit dem Thema Mißgunst auseinandergesetzt und für mich festgestellt, dass einem das auch suggeriert wird. Also auch andere Neid mit Mißgunst gleichsetzen. Ich bin neidisch auf die Kinderschar der anderen, also gönne ich sie ihr nicht? Nein, das ist natürlich Quatsch. Ich mußte somit nun lernen, dass man sehrwohl auf etwas neidisch sein kann und man dem anderen trotzdem sein volles Glück gönnt. Es ist kein boshafter Neid. Im Gegenteil, es ist wunderschön, dass es all diese Kinder um mich rum gibt. Aber es wäre noch schöner, würde meiner mit rumhüpfen. Es ist ein bitterer Neid.

Johannes hatte gestern Namenstag. Pünktlich dazu ist seine Rose aufgeblüht:

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Und was ich auch schon lange posten wollte – wir konnten am 18. April diesen Jahres endlich Johannes Geburtsbaum pflanzen – es wurde ein Gravensteiner Apfelbaum. Seine Plazenta liegt darunter…

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Es grüßt euch herzlich nach langer Zeit mal wieder

die Löwenmama

Heute vor einem Jahr – die Diagnose

18. März 2012

Es ist genau ein Jahr her, das wir die Diagnose des kleinen Löwen erhielten. Es war ein Freitag, 14.00 Uhr, als mein Herz in tausende Stücke gerissen wurde.

Irgendwie hatte ich es schon geahnt. Der kleine Muck war noch von der Narkose der Lumbalpunktion in einem wirklich jämmerlichen Zustand. Solche Eingriffe steckte er wirklich richtig schlecht weg. Und auch der Mb Krabbe hatte schon ordentlich an ihm genagt, ihm ordentlich zugesetzt.

Irgendwie hatte ich es geahnt, das sowas blödes dabei rauskommen könnte, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und sie starb an diesem Nachmittag endgültig und mit der Diagnose auch ein Teil von mir, von uns allen. Voller Hoffnung gingen wir in diesen Termin, mit großen Bauchschmerzen, gewappnet für vieles. Aber dafür kann man sich nicht wappen. Das ist zu groß. Zu schmerzhaft. Zu schrecklich und pervers.

Ein Freitag Nachmittag für eine solche Diagnose. Der vermutlich denkbar schlechteste Zeitpunkt. Aber die Ärztin wählte diesen. Warum auch immer. Vielleicht dachte sie, der Zeitpunkt wäre gut. Weil vielleicht weniger los ist und mehr Ruhe herrscht. Vielleicht dachte sie aber auch nicht nach. Vielleicht hatte sie vorher keine Zeit? Vielleicht hatte sie keine Erfahrung?

Kein Groll, weil sie uns diese Diagnose mitteilen mußte. Nein. Sie hat in der Diagnostik einen guten Job gemacht. Sie konnte dem, was Johannes hat, endlich einen Namen geben und uns in gewisser Hinsicht erlösen. Zu wissen, was auf einen zukommt ist x mal besser, als nichts zu wissen und ertragen zu müssen, das der Ausgang völlig offen ist.

Aber wie uns das alles verklickert wurde, das ganze „drumrum“, das war wirklich krass und ist unentschuldbar. Wir empfanden (und empfinden immer noch) das als höchst unprofessionell. Mit dem Wissen heute können wir sagen, dass man das um viele Stufen hätte besser machen können. Wie man jemandem so etwas sagt, ist wirklich wichtig für die Seele. Mit unseren Seelen wurde nicht gut umgegangen.

In der Vergangenheit konnten wir mit verschiedenen Menschen sprechen und im Regelfall wird man nach so einer Diagnose aufgefangen. Wir wurden nicht aufgefangen.

Ich bin Polizeibeamtin und mußte schon oft Menschen mitteilen, dass das Liebste, der Partner, die Ehefrau oder gar das Kind ums Leben gekommen ist. Und ich konnte mich nie wesentlich darauf vorbereiten. Entweder hatte ich den Verkehrsunfall selbst aufgenommen oder ich wurde im Streifenwagen sitzend davon informiert, dass xy ums Leben gekommen ist und wir das bitte der Frau soundso mitteilen sollen. Hinfahren, klingeln, sagen. Keine nennenswerten Möglichkeiten, sich darauf vorzubereiten. Spontan. Und ich behaupte jetzt einfach mal, dass ich guten Gewissens sagen kann, dass ich niemals jemanden zurückgelassen habe, den ich durch mein unprofessionelles Auftreten zusätzlich traumatisiert habe. Egal ob es ein Glas Wasser war, das ich gebracht habe, einen lieben Menschen den man hat anrufen können um den Trauernden nicht allein zurück zu lassen, ob man einen Seelsorger oder ein Kriseninterventionsteam hinzugezogen hat. Diese Nachricht zu überbringen ist Teil meines Berufes, ich wurde dazu ausgebildet und den Rest muß man selbst mitbringen. Es ist richtig schlimm, jemanden so etwas zu sagen. Aber man kann es so tun, dass derjenige das Gefühl hat, er ist nicht allein. Er wird aufgefangen. Es wird ihm beigestanden. Da ist jemand da. „Ich kümmere mich um Dich!“

Als wir die Diagnose erhielten, war das nicht so. Ich hatte in der Zeit zwischen Lumbalpunktion und Diagnose schon um psychologische Unterstützung gebeten, weil es mir sehr schlecht ging. Es hieß, da würde sich „ganz schnell“ jemand bei mir melden. Es hat sich niemand gemeldet. Warum ich nicht selbst nochmal nachgefragt hatte? Ich hatte die Ressourcen nicht mehr.

Bei diesem Termin am 18. März 2011 um 14.00 Uhr baten wir wieder um psychologische Unterstützung. „Da ist jetzt aber keiner da!“, sagte uns die Ärztin.

„Wie kann es sein,“ fragte ich, „dass ich im Dienst zu jeder Tages- und Nachtzeit jemanden der irgendwelche Firlefanz-Probleme hat und ein bißchen austickt, vielleicht einen heftigen Krach mit seinem Partner hat und in diesem Moment psychologische Unterstützung braucht ins Klinikum auf die entsprechende Station bringen kann und demjenigen wird geholfen und jetzt sagen Sie mir, dass unser Kind stirbt und da ist niemand da?“.

„Am Freitag Nachmittag ist niemand da, Sie müssen irgendwie das Wochenende überstehen und am Montag können Sie xy erreichen!“. Sagte sie. Und ich fühlte mich so verloren.

Ich hatte einen Heulkrampf, ich wußte nicht mehr wie ich Luft bekommen soll. Wie ich den Löwen in meinem Arm halten soll, weil ich keine Kraft mehr spürte, hatte Angst, er kullert mir aus den Armen. Ich dachte, ich komm mit dem Schnaufen nicht mehr hinterher. Es war eine kalte, trostlose Situation.

Was ich auch als richtig schlimm empfand war, dass sie nicht meinetwegen gesagt hat: „Johannes hat eine so schwere Krankheit, dass wir ihm nicht mehr helfen können, er wird leider sterben.“ Und dann den Rest erklärte. Nein, das Gespräch baute sich mit einem Spannungsbogen auf. Sie erklärte die ganzen Untersuchungen und Ergebnisse, vom Anfang bis zum Schluß und das Resultat lag schon irgendwie in der Luft. Irgendwie schlimm und bedrohlich hörte sich alles an. Sie machte immer wieder Pausen und wir fanden uns in der Situation ständig „und jetzt?!?“ zu fragen, bis sie letzten Endes irgendwann sagte, das er mit dieser Krankheit nicht leben kann und sterben wird. Dieser Spannungsbogen war wirklich unerträglich.

Alles andere zu der Erkrankung erfuhren wir nur grob und auf Nachfrage. Die Krankheit selbst erklärte sie schon, also dass ein Enzym fehlt und das Myelin deswegen zugrunde geht, … Aber als Laie kann man sich nicht vorstellen, wo das letzten Endes hinführt, also was mit Johannes genau passieren wird, was für Baustellen zu erwarten sind. Hierzu erfuhren wir staccatoartige Eckpunkte: „wird blind, wird taub, wird steif, stirbt“. Dazu die Anmerkung, das wir sicher googeln würden und ein paar Internetadressen.

Irgendwann zu Hause haben wir gegoogelt. Ich landete als erstes bei Wikipedia und klickte alle hinterlegten Stichworte an. Als ich am Bild des Opisthotonus hängenblieb, war es aus. So sollte mein Baby irgendwann daliegen? Das ging einfach gar nicht und wir vereinbarten einen Termin mit unserem Kinderarzt, der uns alles sehr genau erklärte.

Bei dem Diagnose-Termin wurden wir auch direkt darauf hingewiesen, das wir ab jetzt Anspruch auf einen ambulanten Kinderkrankenpflegedienst hätten. Und ein Flyer des hiesigen Kinderhospizes wurde uns mitgegeben. Wir hätten uns gewünscht, das man uns das alles behutsamer nahelegt.

Wenn man voller Hoffnung in so einen Termin geht, auch wenn man was blödes ahnt, ist das alles zu viel. Man kann es nicht gut aufnehmen und verarbeiten, weil man so sehr geschockt ist, nur noch auf Notbetrieb funktioniert. Im Nachhinein frage ich mich, ob wir überhaupt fahrbereit waren. Zumindest schien es so, ein Taxi wurde uns mal nicht angeboten. Ich in meinem Job habe eine Garantenstellung und muß das hinterfragen.

Ein Rezept händigte sie uns noch aus. Für die Luminaletten. Ich hätte in diesem Zustand nicht in eine Apotheke gehen können, ein vermutlich nicht mal vorrätiges Medikament zu holen. Auch hier hätte es sicher Möglichkeiten gegeben. Und es gab eine. Nachdem ich ihr unmißverständlich klargemacht habe, dass wir jetzt in diesem Moment definitiv nicht dazu in der Lage sind eine Apotheke anzusteuern und sie hier im Haus eine Krankenhausapotheke haben, bzw. irgendwie es sicher eine Möglichkeit gibt, dieses Medikament zumindest für ein paar Tage für Johannes zu organisieren, verneinte sie erst und ging dann doch los und kam mit einer vollen Packung zurück.

Und so machten wir uns auf den Heimweg. Mit dem Wissen, wie der Feind heißt. Mit der Gewissheit, dass wir unser Baby nicht mehr lange haben werden. Das unser kleiner Johannes, für den wir alles getan hätten, sterben wird. Mit der Angst, wie wird das den Kindern, der ganzen Familie sagen. Mit der krassen Ungewissheit, was kommt auf uns zu? Das kann doch alles gar nicht wahr sein. DAS IST EIN ALBTRAUM!!! Freier Fall ohne Rettungsschirm.

Niemand hätte gedacht, das Johannes ein Jahr nach der Diagnose bereits fast ein halbes Jahr lang nicht mehr lebt.

Die Sonne scheint da draußen so ein bißchen scheinheilig vor sich hin und tut so, als könnte das ein toller Tag werden. Aber heut ist unsere Seele einfach zu sehr von Schatten verdeckt.

miss you…

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Herzliche Grüße – wütend und gleichzeitig traurig

die Löwenmama

Forrest Gump

3. März 2012

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Die letzten Tage war viel los. Viel, viel, viel. Hier wurde es mal ein wenig stiller, aber ich wollte euch heute wieder ein Lebenszeichen hinterlassen.

Wir arbeiten gerade an unserem neuen Leben, brechen aus dem Alten aus, weil es das Alte nicht mehr gibt. Machen uns auf in ein neues Leben – unser neues Leben. Wir haben die letzten Wochen beschlossen, von hier wegzuziehen. Ein Haus zu bauen. In Laufnähe vom Löwen. Der Große wird zum nächsten Schuljahr die Schule wechseln. Mein Mädchen besucht nun seit zwei Tagen als nigelnagelneues Kindergartenkind bereits den Kindergarten im künftigen Wohnort. Es fühlt sich richtig an, für uns alle. Das ist so ein großer Schritt.

Vor ein paar Tagen kam „Forrest Gump“ im Fernsehen. Ich höre den wunderschönen Soundtrack wirklich sehr gerne. http://youtu.be/2GFgwJiWaJE (Soundtrack von Forrest Gump)

Ich habe ihn oft gehört, mit dem kleinen Löwen auf dem Arm. Und bitterlich geweint. Und ihm immer wieder gesagt (und mir selbst tapfer vorgesagt), dass wir alles schaffen können. Wenn wir nur fest genug daran glauben, stark genug dafür kämpfen. Alles geben.

Wir haben viel geschafft und auch nichts. Aber gekämpft bis zum Letzten und alles gegeben. Ich konnte den Film dieses Mal nicht sehen. Wenn ich an die Melodie nur denke, treibt es mir die Tränen in die Augen.

Gestern haben wir es schön gemacht beim Löwen. Die Erde war über den Winter schon wieder so abgesackt und es tat sich rundrum so ein gräßlicher Spalt auf. Es war so ein verdammt beschissenes Gefühl durch den Gartencenter zu laufen und Graberde zu kaufen, ein Windrad auszusuchen. Und ein paar Blumen als Frühlingsgruß. Einen tollen Farbtupfer haben wir gefunden. Einen Marienkäfer an einer langen, biegsamen Stange, die sich im Wind wiegt. Ein fröhlicher und herrlich bunter Gruß, wenn man zum Löwen kommt. Schon von Weitem sieht man die Farben um die Wette leuchten. Und es ist seltsam beruhigend, wenn es dort wieder schön ist.

Aber heute ist meine Seele übergelaufen. Gebrodelt hat es schon ein paar Tage. Löwe im Kopf, Löwe im Herz – fehlt so sehr. Überall toben sie rum, die Zwergennasen. Er wäre jetzt bald 19 Monate alt. Würde durch den Garten laufen. Erst vor ein paar Tagen war ich mit meinem Mädchen im Schuhladen. Gummistiefel, Halbschuhe und ein Paar Sandalen. Und ich hatte noch ein paar Schuhe in der Hand, das ich gekauft hätte. Hätte. HÄTTE! Die wären es gewesen, die er bekommen hätte.

Gestern schon hatte ich so einen Drang nochmal zum Löwen zu fahren. Fühlte mich so weit weg von ihm. Heute war der Drang noch viel stärker, obwohl ich morgens schon dort war. Also setzte ich mich ins Auto und die Tränen liefen. Tränenmeer ganz voll. Viel Gefühlstsunami. So viel Loch, Trauer, Wut, Hilflosigkeit. So viel Durcheinander im Kopf, Herz und Bauch. Nur wohin damit?

Ich schicke euch Sonne

die Löwenmama

 

Die Ruhe in mir – wo ist sie hin?

8. November 2011

In mir ruhend. Ich bin seit langer Zeit das Gegenteil davon. Ob ich jemals so richtig in mir ruhend war, weiß ich nicht. Ich bin sehr wuselig, aber ja, so eine innere Ruhe hatte ich mal. Und Nerven wie Drahtseile. Viel Trubel um mich rum hat mir nie viel ausgemacht.

Ich war die Mama, die zwar etwas chaotisch war, aber immer mit dem Steuer fest in der Hand. Ganz easy den Großen zum Fußball begleiten, mit dickem Bauch mein Mädchen auf dem Rücken im Tragetuch, irgendwann den Löwen vorne im Arm und mein Mädchen schlafend am Rücken, Tandemstillend, am liebsten ein Kind hinten, ein Kind vorne im Tuch. Alles immer irgendwie im Griff. Das vierte Kind nicht im Kopf, aber schon im Herzen. Schon irgendwie geplant. Ich wuppe das alles. Egal was da kommen mag, mich kriegt das nicht klein. Egal, ob ich zwei Stillkinder hatte, ob ich sie tags oder nacht am besten noch beide gleichzeitig gestillt habe – alles kein Problem.

Und dann war da der Löwe. Und das Leben hat mich …mich… kleingekriegt. Von meinem alten Ich ist kaum mehr was übrig. Ich bin ein ruheloses und kaum belastbares Etwas, das mit seinem grad pillepalle-Leben schon total überfordert ist, mal bezogen auf den Haushalt.

Irgendwann ist da dieser dumme, dumme Mb. Krabbe gekommen und hat mein Leben in eine Kiste gesteckt mit allem was dazu gehört und es ganz wild durcheinandergeschüttelt. Deckel drauf und schütteln was geht und dann den Inhalt so durcheinander wie er ist auf den Boden geworfen. Ausgekotzt vom Leben. Und jetzt macht mal.

Und mit des Löwen Tod ist nochmal alles durcheinandergeschüttelt und jetzt sollen wir schauen, was draus wird. Uns ist immer noch ganz schwindlig vom Schütteln, immer noch orientierungslos. Schutzlos kommen wir uns dabei vor. Defragmentieren ohne Programm dazu. Wie soll das gehen?

Alles durcheinander. Der Große zickt. Mein Kopf ist wirr. Mein Mädchen wild. Und der Löwe nicht mehr da. Mein ganzes Traumleben im Arsch.

Heut ist der erste Tag, wo ich den Löwen nicht besucht habe. Ich wollte mal wissen, wie ich damit zurecht komme und mir gehts ganz mies. Die Kerze von gestern brennt noch und meine Mama hat vorhin nochmal eine angezündet. Das ist mir wichtig, das Licht brennt. Aber da kann ich so viel an ihn denken, wie ich will. Ach verdammt, er fehlt mir halt so.

Es grüßt euch heut mit mieser Laune aus dem Chaos

die Löwenmama

„Du trägst den Löwen immer in Deinem Herzen“

5. November 2011

Dieser Spruch im Titel begleitet uns ständig. Es soll wahrscheinlich ein tröstender Gedanke sein und  bitte, wer das mal gesagt oder geschrieben hat, das ist total ok, denn ihr wolltet ja was tröstendes sagen/schreiben und das ist mehr als schwer die richtigen Worte zu finden, denn was ist schon richtig. Mir ist lieber was sagen und vielleicht für mich nicht die richtigen Worte zu finden, für wen anderes kann es ja tröstlich sein und umgekehrt, als wegzuschauen und mich stehen zu lassen. Ich wollte aber einfach generell ein paar (meine) Gedanken dazu loswerden.

Für mich ist das – zumindest für den Moment – gar kein tröstlicher Gedanke, den Löwen „für immer in meinem Herzen und bei mir“ zu tragen. Ich würde ihn x mal lieber in meinem Arm tragen und in meinem Herzen ist verdammt weit weg. In meinem Herzen tut mir gerade nur weh. Es zerreisst mich. Es soll in mir sein. An meiner tiefsten Stelle. Aber dann würde es doch nicht nur weh tun.

Unter meinem Herzen trug ich ihn 10 Mondmonate lang. Unter meinem Herzen war er ja da, ich habe ihn gespürt. Wir konnten streicheln, stupsen, uns fühlen. Er war zwar in mir drin, aber da.

Jetzt soll er in meinem Herzen sein und ich trag ihn immer bei mir? Das kann ich so nicht fühlen. Vielleicht irgenwann. Aber jetzt nicht. Er liegt in seinem kalten, dunklen Grab, das auch mal meins sein wird. Ich bin jeden Tag dort und ihm näher, obwohl so viel Erde zwischen uns liegt, als wäre er in meinem Herzen.

Ich häng grad durch. Ich höre mich lachen und weine innerlich. Ich reisse Witze, die ich gar nicht lustig finde. Ich laufe aufrecht und fühle mich innerlich so gebrochen.

Es tut so gut, dass alle für mich da sein wollen. Ich möchte mir, aber auch den anderen gerecht werden. Aber mein Leben überfordert ich. Hier sieht es aus wie Sau, soviel Unordnung der letzten Monate, der ich nur langsam beikomme. Es tut gut, rauszukommen. Aber ich hab fast zu wenig Zeit, um überall hinzukommen, wo ich hin will. Nicht hin muß, sondern hin will. Wo ich anrufen möchte. Nicht muß, sondern möchte.

Das Leben überflutet mich gerade, es reißt mich mit. Keine Rettungsweste. Sturmflut und ich mittendrin. Ich treibe immer noch in diesem Meer, aber es ist gerade ziemlich wild und ich hab keine Ahnung, wann es mich wo ausspuckt. Ich hätte gern etwas mehr Beständigkeit in meinem Leben, hab aber keine Ahnung, wie das geht.

Tausend Sachen in meinem Kopf, die ich machen möchte. Völlig überreizt. Und nicht dazu in der Lage, einem simplen Fernsehfilm zu folgen.

Ich hätte gern das neue Jahr. Neues Jahr, neues Glück. 365 neue Tage. Ich hoffe nur, dass ich bis dahin etwas mehr Struktur in mein, in unser Leben, gebracht habe. Vermutlich sollte ich aber der verstreichenden Zeit vertrauen…

Es grüßt euch aus einem völlig verrückten Durcheinander des Lebens

die Löwenmama

Fingerabdruckketten – der Löwe hinterläßt jetzt schon Spuren…

25. Juni 2011

Gestern wurde uns ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Wir haben einen wundervollen und ersehnten Schatz bekommen.

Ich habe vor ein paar Jahren in ein Forum mit vielen tollen Frauen gefunden und dort während der Schwangerschaft mit „gleich schwangeren“ Frauen in einem Thread geschrieben. 29 dieser Frauen hatten eine wunderschöne Idee. Sie schenkten uns Fingerabdruckketten mit den Abdrücken des Löwen.

Das war eine schwere Geburt. Das kann man so sagen. In diese Idee hatten wir uns sofort schrecklich verliebt. Der Gedanke, einen Fingerabdruck an einer Kette unser Leben lang nah an unserem Herzen zu tragen wurde so wichtig.

Die Firma, die die Ketten fertigt, ist in England. Es kamen Fingerabdrucksets und wir hatten schon die ganze Zeit ehe sie kamen Angst, dass es zu lang dauert und der Löwe nicht mehr bei uns ist. Es wurde zur fixen Idee, an die man sich viel zu sehr klammerte. Vielleicht läßt es sich schwer nachvollziehen, aber mir raubte es den Schlaf, dass die Fingerabdrucksets zu spät kommen könnten. Der Löwe begann zu diesem Zeitpunkt damit, beim Schlafen teils sehr lange Atemaussetzer zu haben.

Es kam der Tag, da waren die Fingerabdrucksets endlich da. Um die Fingerabdrücke zu nehmen, muß man Dentalabdruckmasse (zwei kleine Klumpen) zusammenkneten. Sobald beide Massen miteinander verbunden sind, härtet sie recht bald aus. Der Löwe schlief gerade so friedlich in meinem Arm, der Moment war perfekt. Ich knetete, legte die kleine Kugel bereit und nahm seinen Finger. Als ich gerade dabei war, seinen kleinen Finger in die weiche Masse zu drücken, begann er schrecklich zu schreien wie sonst nie. Ich sah natürlich sofort nach was los ist und ehe ich wenige Sekunden später wieder mit dem Finger an der Masse war, begann sie auszuhärten.

Mich ergriff blanke Panik. Ich begann zu heulen. Ich schwitzte. Vielleicht denkt ihr „meine Güte, die spinnt ja“, aber der Gedanke, das jetzt verkackt zu haben und diese Ketten nicht bekommen zu können war furchtbar für mich. Ich überlegte und nahm die zweite Masse, knetete sie zusammen, teilte sie, knetete die andere unentwegt weiter und machte rasch den einen, dann den anderen Abdruck, denn der Löwenpapa wollte einen anderen Finger. Ich dachte mir, seine Finger sind so klein, dann wird auch die halbe Masse ausreichen.

Ich kommunizierte per E-Mail und wir bekamen innerhalb weniger Tage nochmal Abdrucksetzs. Die als nächstes angefertigten Abdrücke waren aber nicht so schön. Die Hände des Löwen sind immer fest geschlossen und innen darum feucht, die Haut leicht aufgequollen oder wie soll ich sagen. Man bekommt die Hände nie richtig auf. Er hat von der ständigen Fäustchenhaltung bereits Querrillen an den Fingern. Sie sehen deswegen sicher etwas anders aus als die anderer Babies.

Die Abdrücke waren rasch in England. Wir versandten die ersten mit der halben Masse. Wir bekamen einen Brief, dass sie sie nicht verwenden können, die Abdrücke sind zu schwach ausgeprägt. Es lagen neue Abdrucksets dabei. Ich hab so geheult.

Wir warteten einen guten Moment und machten nun zum dritten Mal Abdrücke. Ich schrieb in meinem besten Schulenglisch (das ist ein Witz!) einen Brief dazu, beschrieb die Situation und warum wir keine besseren Abdrücke machen können und das sie -bitte- die Abdrücke einfach so machen, wie sie sind.

Wir warteten und warteten und rechneten auch damit, dass schlichtweg keine Fingerabdruck-Anhänger möglich sind. Gestern war es soweit. Der Postbote brachte ein dickes Kuvert aus England, ein Einwurfeinschreiben. Da konnte nur wertvolle Fracht drin sein. 😀

Ich hatte Tränen in den Augen. Diese Anhänger sind einfach nur wunder-, wunderschön. Und das beste – normalerweise werden die Abdrücke von dieser Firma 18 Monate aufbewahrt, stand in dem beiliegenden Begleitschreiben, aber die des Löwen haben sie uns mitgeschickt. So können wir sie aufbewahren und ggf. verwenden, falls ein Anhänger kaputt oder gar verloren geht. Ich bin sehr beruhigt. Ich fühlte mich gestern sehr friedlich damit.

Auch an dieser Stelle möchte ich, möchten wir, nochmal euch allen danken!

Wie oft hört man „ach, das Internet. Das ist nicht echt. Was willst Du denn damit?“ – Das ist nicht richtig. Ich habe vor allem in den letzten Monaten so viel wertvollen Input aus diesem Forum mit seinen wunderbaren Frauen bekommen. Und nicht nur virtuelle Worte. Es gab Zeiten während der Diagnostik, da bekam ich teils täglich, teils alle paar Tage Pakete, Päckchen, Briefe, Karten mit den liebenswertesten Sachen. Viele davon begleiten uns jeden Tag. Vielleicht fange ich mal an und mache davon Schnappschüsse und stelle sie hier ein…

Wo mein Umfeld im realen Leben versagte, ob aus Hilflosigkeit, aus Verdrängung, zu großer eigener Bestürztheit – diese Frauen waren da. Vielleicht hatten sie den Vorteil, dass sie überelgen konnten, ehe sie schrieben, dass sie reinklicken konnten bei mir, wenn sie just in dem Moment die Nerven, die Kraft dazu hatten. Wenn sie die Zeit und genug Ruhe dazu hatten. Das klappt im realen Leben nicht immer. Aber sie waren da.

Und wie so oft schrieben sie, dass sie für uns eine oder mehrere Kerzen angezündet haben. Wie oft war ich nachts wach und online und das waren Grüße von ihnen, dass sie an uns denken und uns eine schlafreiche Nacht wünschen. Ich habe selbst schon oft für jemanden eine Kerze angezündet. Wenn ich mir alle die Kerzen vorstelle, die man für uns da schon angezündet hat, muß es ein riesengroßes Lichtermeer sein. Es zaubert Gänsehaut. Danke, Mädels, dass ihr -uns- mir die Stange haltet.

Und auch ein großes Danke an die treuen Seelen aus meinem echten Leben, die nicht einfach so verschwunden sind. Das sind Menschen, mit denen ich im Vorfeld nicht den engsten Kontakt hatte. Wo man nicht jeden Tag, jeden zweiten oder dritten durchgeklingelt hat. Aber diese wenigen Menschen sind seit der Diagnostik schon für mich, für uns da. Ich hab auch jetzt nicht immer die Kraft, selbst den Hörer in die Hand zu nehmen, aber die schaffen das und rufen hier an. Alle paar Tage, jede Woche, alle 10 Tage. Das tut gut. Ihr alle seid meine, unsere Alltagsengel. Ich danke euch von Herzen. Ihr wißt nicht, wie gut das getan hat und immer noch tut. Einfach nur Danke. Es kommt der Tag, da kann ich es zurück geben und ich werde es von Herzen gerne tun.

Eure Löwenmama