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Eine Lanze für Trauernde brechen

6. Januar 2013

Ich hatte es im alten Jahr angekündigt ein wenig darüber zu schreiben, was ich letztens in einem Seminar über „sterben, Tod, Trauer“ regelrecht aufgesaugt habe. Der Referent hat absolut eine Lanze für Trauernde gebrochen und das tat mir so unsagbar gut. Ein wenig davon möchte ich zusammenschreiben – für mich, um es mir immer wieder mal durchzulesen und auch für euch, die ihr da draußen seid und auch trauert, in Trauer lebt, mit der Trauer lebt, überlebt oder wie auch immer. Und für diejenigen, die mit Trauernden umgehen. Und vielleicht auch unsicher sind, wie sie am besten mit Trauernden umgehen.

Ich schreibe völlig wertfrei. Wenn sich jemand Nichttrauernder angesprochen fühlt, meine ich das nicht persönlich. Das ist mir ganz wichtig, das zu sagen.

In der Trauer ist alles erlaubt. Von außen wird oft erwartet, das man auch sichtbar trauert, sichtbar traurig ist. Je nachdem, wo man lebt, erwartet man vielleicht sogar, das man in schwarz geht. Manche haben immer noch gedanklich ein Trauerjahr im Kopf. Und wenn dann das erste Jahr rum ist, dann könnte man ja mal wieder normal funktionieren. Trauert man dann aber immer noch oder sogar sehr stark, wird vermutet, dass man depressiv ist, dass man professionelle Hilfe braucht, besteht großes Unverständnis darüber, das man die Trauer noch nicht abgelegt hat. Das man noch nicht darüber hinweggekommen ist.

Ich weiß nicht, wie andere trauern, aber ich glaube, Trauer ist etwas sehr individuelles. Vielleicht ist es auch ein Unterschied, was man betrauert, wen man betrauert und wie alt man dabei ist. Vielleicht auch nicht. Wer weiß das schon?

Das erste Jahr: das erste Jahr war sehr komisch. Ich schreibe jetzt nur von mir. Zuerst war ich sehr betäubt. Und ich konnte das gar nicht glauben, das es wirklich passiert ist. Ich brauchte wirklich viele Wochen, bis ich das realisieren konnte. Ja, Johannes ist wirklich gestorben. Und dann kam eine Phase, wo ich das so unglaublich fand, was uns passierte und ich saß da und fragte mich: „ist uns das _wirklich_ alles passiert“ und „gab es Johannes wirklich?“. Ich ging nach oben und sah nach, ob da tatsächlich seine Sachen sind, fühlte die Kette mit seinem Fingerabdruck an meinem Hals. Und ja, es gab ihn wirklich und ja, es ist uns wirklich passiert. Es ist ihm tatsächlich passiert. Ich mußte das für mich wirklich erst realisieren.

Erst kam eine erste Nacht ohne ihn, ein erster Tag ohne ihn, dann ein erstes Sonntagsfrühstück ohne ihn. Es folgte eine erste Woche ohne ihn, der erste Monat ohne Johannes. Das erste Weihnachten – ohne ihn. Kurz darauf ein erstes Silvester ohne den kleinen Stinker. Sieht er uns von dort oben? Nochmal richtig laut knallen? „Hey, da unten sind wir!!“

Die ersten Geburtstage ohne Jo, ein Ostern ohne Osternest für unser Baby. Ein Geburtstag ohne Geburtstagskind und dann ein Todestag. Ein ganzes Jahr ohne den kleinen Schnuckmuck.

Und dann war es rum. Das erste Trauerjahr. Das berühmtberüchtigte Trauerjahr. Und jetzt sollte ich darüber hinweg sein? Nein, ich war glaub noch nicht mal mittendrin.

In gängiger Trauerliteratur liest man, dass das zweite und dritte Jahr am schlimmsten sind.

Was ich erst ganz schlimm fand: zuerst war es „dieses Jahr ist unser Baby gestorben“, dann „letztes Jahr ist …“ und jetzt seit dem Jahreswechsel „vorletztes Jahr ist …“. So lang ist das schon her? Aber ich glaube, es war doch erst gestern.

Wie soll ich jemandem erklären, das ich so schrecklich traurig bin, das ich gelegentlich die ganze Welt vor Schmerz am liebsten zusammenschreien möchte, das ich am liebsten an seinem Grab stehen möchte und „Johaaannnnneeeees“ so laut schreien möchte, das es bis ans Ende der Welt zu hören ist?

Das ist verdammt nochmal nicht schon so lange her, das es vorletztes Jahr war?

„Langsam sollte sie doch jetzt drüber hinweg kommen“… munkelt man dann vielleicht?

Vielleicht komme ich nie darüber hinweg.

Kann man über so etwas hinweg kommen?

Muß man über so etwas hinweg kommen?

Nein, man muß nicht. Vielleicht kann man. Aber man muß es nicht. Und es ist normal, wenn man es nicht tut. Und es ist ein verdammtes Recht, nicht darüber hinweg zu kommen.

Und man ist nicht unnormal, wenn man nie über den Verlust eines geliebten Menschens, des gliebten Partners, des Kindes, … hinweg kommt.

Und ein Leben lang traurig ist.

Und ich wünsche allen Trauernden von Herzen, so lang traurig sein zu dürfen, wie sie es brauchen – vielleicht ein Leben lang. Aber dennoch leben und lachen und lieben. Um am Ende unterm Strich ein glückliches Leben gelebt zu haben.

Bei Angehörigen entsteht Hilflosigkeit, wenn Trauernde vermeintlich nicht über ihre Trauer hinweg kommen. Man möchte helfen und erwartet aber gleichzeitig, dass es besser wird. Das derjenige die Trauer hinter sich läßt. Aber er muß die Trauer nicht hinter sich lassen. Er darf sie weiter leben. Und auch mal nicht leben. Angehörige sind herzlich eingeladen, Trauer mit auszuhalten, anstatt sie auszumerzen, auch wenn es noch so schwer ist.

Es gilt nicht, Trauernde aus „Löchern“ zu holen. Es gilt Trauernden zuzuhören. Sich neben das Loch zu setzen. Dem Trauernden zu sagen „ich bin da, wenn ich was tun kann für Dich“, ihm Zeit zu geben. Bis er bereit ist da wieder auszukommen. Vielleicht mal zu sagen: „Hey, vergiß nicht, da draußen ist das Leben. Ich lade Dich ein, mal wieder teilzunehmen“ und irgendwann wird der Trauernde entweder einfach rauskommen oder sich raushelfen lassen.

Es tat mir so gut zu hören, das es kein richtig oder falsch trauern gibt. Das Trauer auch nach Jahren!!! nicht unnormal oder gar krankhaft ist. Das Trauer einfach ganz individuell ist.

Es ist nochmal etwas ganz anderes, wenn man seine Trauer als Recht in Worte fasst. Ich habe spontan für den Moment meine Gedanken hierzu mal zusammengetragen:

Du hast das Recht zu trauern, wie Du willst und es Dir gut tut.
Du hast das Recht zu weinen, so lange und wo Du willst ohne Dich Deiner Tränen schämen zu müssen.
Du hast das Recht auch nach Jahren traurig zu sein, als wäre es gerade eben passiert ohne Dich dafür rechtfertigen zu müssen, weil Du eigentlich schon darüber hinweg sein müßtest.
Du hast das Recht, Rücksicht zu erfahren, wenn Du nicht einfach funktionierst, nicht leisten kannst was man von Dir erwartet, weil die Trauer Dich blockiert.
Du hast das Recht, Dich für Deine Trauer nicht rechtfertigen zu müssen.
Du hast das Recht, dass man Rücksicht auf Dich und Deine Trauer nimmt.
Du hast das Recht zu leben. Dich am Leben zu erfreuen. Zu lachen. Oder auch vermeintlich nicht sichtbar zu trauern. Auch wenn Du ganz frisch Trauernder bist.
Du hast das Recht, glücklich sein zu dürfen.
Du hast das Recht Deine Trauer zu leben, wie es Dir gut tut. Du bist Du und es ist Dein Weg.
Du hast das Recht, Dir in der Trauer eine Auszeit zu nehmen, wenn Du Zeit für Dich und Deine Trauer brauchst oder die Trauer Dich lähmt.

Wenn man Probleme damit hat sich das zuzugestehen, ist das sehr wertvoll es in eigene Gedanken zu fassen.

Noch be-greif-barer wird es, wenn man es mit „Ich“ formuliert. Dann ist es nochmal viel, viel näher.

Es gibt zig Beispiele hierzu, von allen möglichen Verfassern. Im Buch, im Web, …

Hier kopiere ich etwas von einem „Unbekannten Verfasser“ rein, das ich im Netz gefunden habe. Es hat mich sehr angesprochen:

Du hast ein Recht auf deine Trauer

Du darfst dich deinen Verlusten widmen,
musst nicht verdrängen, was dich beschwert.
Du hast ein Recht, das abzutrauern,
was dich so tief enttäuscht hat
und was du nicht ändern kannst.

Du hast ein Recht auf deine Tränen,
auf dein Schweigen,
auf deine Ratlosigkeit,
auf deine innere und äußere Abwesenheit,
Du musst nicht den Glücklichen spielen,
nicht über den Dingen stehen.

Du hast ein Recht, die wegzuschicken,
die dich mit Gewalt aus deiner Trauer
herausholen wollen, weil deine Trauer
sie selbst bedroht.
Du hast ein Recht auf deine Trauerzeit.

Du hast ein Recht,
mit denen nicht reden zu wollen,
die dir ein schlechtes Gewissen machen
für deine Dunkelheit und Trauer.
Die mit Sprüchen kommen
und dich mit diesen Sprüchen
unter Druck zu setzen versuchen.
Du hast ein Recht auf deine Trauerstille.

Du hast ein Recht, dich zu wehren
gegen die, die dir sagen
was du fühlen darfst und was nicht,
die dich nicht als einzelnen,
sondern als Fall behandeln
und sich innerlich nicht wirklich
mit dir einlassen.

Vielleicht macht dich nichts so menschlich
wie deine Trauer.
Über sie kann ein Trauernder sich dir nähern
und auf Verständnis hoffen.
Trauern zu können ist eine Gabe.
Lass dir das Recht auf deine Trauer nicht nehmen
(Verfasser unbekannt)

    ***

Der Umzugsstreß ist noch nicht ganz abgefallen von uns und so ganz zu Hause fühlen wir uns hier im neuen Heim auch noch nicht. Eigentlich wollten wir nun ein wenig zur Ruhe kommen, aber das sollte nicht so sein. Der Löwenpapa hatte arge Rückenschmerzen, Arztbesuche und ein paar Untersuchungen die uns sehr an den Diagnostik-Weg mit Johannes erinnerten, was mich nervlich irgendwie ziemlich in alte Zeiten zurückgeworfen hat. Nächste Woche muß der Löwenpapa nun ins Krankenhaus und einen Eingriff über sich ergehen lassen. Das belastet mich schon sehr. Wo wir uns doch so sehr auf die Ruhe nach der Bauphase, nach dem Umzug gefreut hatten.

Ich weiß, wir haben einen ganz besonderen Schutzengel im Himmel. Und er hat ein Auge auf seinen Papa.

Hier brennt abends im Regelfall ein besonders drolliges Licht für ihn und zeigt unseren Besuchern schon von Weitem, dass hier ein Löwe wacht.

Es grüßt euch herzlich

die Löwenmama

„Mama, was ist gestorben?“ …

30. April 2012

„Mama, was ist gestorben?“ ‚“Gestorben ist, wenn man der Mami Marienkäferchen vom Himmel schickt um ihr ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, statt Quatsch zu machen.“

Dieser Satz fiel mir letztens spontan ein, als ich draußen den Rasen mähte. Ich machte mir Gedanken darüber, was man wohl im Himmel so macht. Denn auch wenn ich nicht mehr an Gott glaube, denke ich immer noch, dass es sowas wie den Himmel gibt. Vielleicht so eine Art Ort wo man sich eine Weile aufhält und einfach ist, bevor man eine neue Aufgabe bekommt und die Seele ihre Flügel wieder weit aufspannt und in ein neues Zuhause, ein neues Leben fliegt.

Dann sitzt man im Himmel und hat so furchtbar viel zu tun. So furchtbar viel Spaß. Und Johannes hat viel nachzuholen, war doch sein letztes Leben ziemlich spaßfrei und anstrengend. Ab und zu schaut er mal zu mir runter oder manchmal bitte ich ihn darum, auf mich oder den Papi oder die Geschwister besonders gut aufzupassen. Manchmal klingle ich nach ihm mit meinem Engelrufer, aber nur wenn es ganz, ganz dringend ist. Und dann sieht er mich vielleicht weinen, spürt meine Verzweiflung. Und dann schickt er sie, die Marienkäferchen. So stell ich mir das vor.

Die letzte Zeit war ich so quirlig. Kaum zu Hause. Wirklich ständig auf Achse. Habe Überstunden noch und nöcher gemacht. Lauter Projekte begonnen. An allen Fronten gekämpft. Wenn ich Johannes besuchte, war er oft so weit weg. Ich konnte nicht gut zu ihm hinfühlen. Ich ließ mich vom Leben mitnehmen, ich lachte, hatte Spaß. Aber irgendwie war ich das nicht. Die Maske lacht. Die Maske scherzt, macht zu lustige, zu blöde Witze. Und unter der Maske ist es dunkel. So eine tiefe Traurigkeit hatte mich erfasst. Unterschwellig. Nicht greifbar. Aber dennoch da.

Gestern ist er dann geplatzt. Der Knoten. Wie eine Wunde, die schon länger vor sich hin laboriert und dann bricht alles auf und es eitert. Und mir war wieder einmal klar, dass diese Narbe vielleicht irgendwann einmal schon zuheilen wird. Aber sie wird weder schön, noch unsichtbar und sie wird immer irgendwie weh tun.

Gestern abend brach mal wieder alles aus mir heraus. Ich hab so geweint. Ich konnte schon lange nicht mehr so weinen. Vor kurzem mal bei Johannes am Grab. Da kam ich und noch ehe ich die Kerzen anzünden konnte, lief plötzlich ein ganzer Sturzbach an Tränen los. Aber es war mir peinlich. Ich wollte weder so verheult in den Kindergarten mein Mädchen abholen, noch so zum Arbeiten. Also drängte ich die Tränen zurück, schluckte sie hinunter.

Das Weinen gestern tat irgendwie gut. Der kleine Muck fehlt mir so sehr. Ich bin schon wieder so wütend, fühle mich vom Leben so ungerecht behandelt. Und ich fühle mich so hilflos, weil ich nichts, nicht, nichts an der Situation ändern kann. Trauer ist wie ein langer Tunnel und ich hab keine Ahnung, wann da Licht kommt.

Hier ein Bild aus London, das gut zu meinem Empfinden paßt. Dunkel, trist, nackt. Kalt und karg und tief unten.

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Kürzlich bin ich Streife gefahren. Die Sonne hat so herrlich gescheint. Wir fuhren durch die Innenstadt und all die Mamis mit ihren Kindern in den Buggies rumlaufen zu sehen… wenn dann noch eine um die Ecke fuhr mit nem Kinderwagen und nem Geschwisterboard dran, wars vorbei. Ich könnte grad nicht mit meinen Kindern zum Bummeln gehen. Genau aus diesem Grund. Das geht (noch) nicht.

Ich habe angefangen, die Geschichte des Löwenbabies aufzuschreiben. In allen Facetten. ich hoffe, ich bekomme es fertig. Wünscht mir Glück und einen lange Atem. Geduld ist nicht meine Stärke. Aber ich hab das Gefühl, ich bin es mir und vor allem Jo schuldig.

Johannes Apfelbaum blüht. Er sieht richtig hübsch aus. Aber es tut mir in der Seele weh, das er ihn nicht mehr sieht. Wir nicht mehr drunter liegen können. Heute möchte ich noch mein Versprechen einlösen, das ich ihm letztes Jahr gegeben habe. Ich bring ihm ein paar blühende Zweige mit.

Es grüßt euch herzlich

die Löwenmama

Schneelöwe

16. Februar 2012

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Gestern war ich nicht beim Löwen. Es ist für mich noch ziemlich neu, ihn nicht jeden Tag zu besuchen, aber ich kann langsam etwas besser damit umgehen. Ich schau normalerweise jeden Tag einmal zu ihm, das ist mir auch sehr wichtig. Ich brauche das! Aber gelegentlich kam es jetzt schon vor, dass es einfach nicht gut möglich war. Da flossen auch mal Tränen und eine große Hilflosigkeit machte sich breit.

Ich wollte aber auch nicht, dass es sich zu einem Zwang entwickelt. Ich habe mich gefragt, wie ich dem begegnen würde, wenn jemand anderes so fühlen würde. Ich würde demjenigen sagen, dass es sich gut anfühlen soll, dorthin zu gehen. Und das man es tun sollte, weil es einem gut tut und nicht weil man muß. Es wäre nicht richtig ein schlechtes Gewissen zu haben, weil man nicht dort war. Und das hatte ich. Eine Kerze neben seinem Bild hier am Tisch hat da nicht gereicht.

Das fühlte sich für mich nun nicht mehr gut an, das die Welt schier unterging, wenn ich nicht dort war. Aber es gibt einfach nunmal Siutationen, da wäre es nicht richtig, es mit Biegen und Brechen durchzusetzen, wenn es eigentlich grad gar nicht geht, wenn ich z.B. mein Mädchen extra wecken müßte um zum Friedhof zu fahren oder es arg weint, weil es jetzt einfach nicht wegfahren möchte sondern weiter spielen, wenn ich riskieren würde liegenzubleiben, weil die Straßen so schlecht sind, … .

Gestern war es der Schnee, der mich nicht hat fahren lassen. Es hat sooo viel geschneit und die Straßen waren wirklich in einem schlechten Zustand und ich habe mich nicht auf den Weg gemacht.

Heute morgen hatte ich schon arg zu kämpfen und ordentlich nasse Hosenbeine, bis ich zu seinem Grab kam. Der Schnee lag so richtig hoch und die dritte Laterne, die mit dem kleinen Babylöwen drauf, konnte ich gar nicht mehr sehen, so eingeschneit war alles.

„Kleiner Löwe, auch wenn ich Dich mal nicht besuche, ich habe Dich nicht vergessen! Aber das weißt Du… Mami liebt Dich!“

Eingeschneite Grüße

die Löwenmama