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Flashmob, her mit euren Ärschen

8. April 2011

Ich bin heute sehr sauer und trotzig. Kennt ihr diese Revoluzer-Gefühle aus der Jugend? Ich hätte früher gern mal meinen blanken Arsch aus nem Fenster eines fahrenden Autos gehalten, hatte aber nie den Mut dazu.

Halt einfach Sachen machen, die man nicht macht. Warum eigentlich? Um zu provozieren? Die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken? Keine Ahnung. Ich würde grad total gern meinen blanken Arsch gen Himmel recken. Und ja, ich entschuldige mich bei allen Gläubigen jetzt nicht. Ich bin sauer auf Gott. Erst schenkt er mir ein Kind und jetzt nimmt er es mir wieder weg. Er läßt mich gerade im Stich, läßt es zu, dass mein Großer und meine Kleine mitbekommen müssen, wie ihr Geschwisterchen fast erstickt, er mutet das mir und vor allem dem kleinen Muck zu. Er sattelt grad immer nochmal und nochmal drauf. Wenn es ihn denn gibt, verstehe ich alles einfach nicht mehr. Also entweder gibt es ihn nicht, dann ist es eh egal, wenn ich ihn gen Himmel blank ziehe und wenn es ihn gibt, dann muß ich nicht für alles artig Danke sagen und annehmen, sondern darf auch ganz deutlich protestieren. Wenn er meinen blanken Arsch gesehen hat, ist er wenigstens mal wieder aufmerksam geworden auf uns, wenn er mich schon nicht hört und euch alle, die ihr für den tapferen Löwen gebetet habt.

Dieses Gedicht hab ich von einer ganz lieben, es stammt von Mascha Kaleko – es gefällt mir, ich füg es mal ein:

Memento

Vor meinem eigenen Tod ist mir nicht bang,
nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?

Allein im Nebel tast ich todentlang
und lass mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.

Der weiß es wohl, dem Gleiches widerfuhr –
und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: Den eignen Tod, den stirbt man nur;
doch mit dem Tod der anderen muss man leben.

„alles kaputt, es ist alles kaputt“ – Meldung aus der Seifenblase…

7. April 2011

Ich will aus dieser beschissenen Situation raus. Ich will mal wieder einfach nur so unbeschwert lachen. Als ich gestern aus dem Hospiz kam, standen da Eltern draußen und haben richtig gelacht. Ich dachte mir ‚wow, die können das noch, oder wieder … ‚ was weiß ich. Kann ich das auch irgendwann wieder? Werd ich wieder sowas wie Spaß erleben, glücklich sein? Geht das noch, nach allem was ist und was noch kommt? 😦

Das war das, was ich kürzlich mit leben in der Seifenblase meinte. Die Welt da draußen läuft normal weiter, wir da drin, kein Boden mehr unter den Füßen. Man will wieder am Leben teilhaben, will wieder Boden unter den Füßen spüren. Man will, dass die Blase platzt, was aber im Umkehrschluß bedeuten würde, dass man sich wünscht, dass der löwe stirbt. Aber wollen tun wir das ja auch nicht.

Das ist alles Mist.

Ich möchte mein Baby um alles in der Welt behalten, aber es ist so kein Leben. Also ich kann es kaum mehr ertragen. Heute mußte ich ihn wieder rumdrehen, weil er sich an seinem Speichel so arg verschluckt hat. Der ist recht zäh und ich sauge eh schon immer wieder mit dem Mucex Absauger manuell überschüssigen Speichel aus dem Mund ab. 😦 Aber manches kommt auch aus der Lunge hoch und er kann inzwischen sehr schlecht abhusten. Essen wird immer schwieriger. Er atmet oft so flach und hat richtig lange Atempausen. Er gibt kaum einen Ton von sich, außer er jammert und dann bin ich mir nie sicher, ob ihm was weh tut und wir versuchen uns wieder mit Schmerzmitteln. Er kann sich so gut wie nicht bewegen und macht sich ständig steif. Es ist ja nicht so, dass ich ihn hergeben muß und er den ganzen Tag munter brabbelt, rumstrampelt, kullert, lacht… lachen kann er schon lange nicht mehr. Er kann nicht mal mehr am Schnuller nuckeln. Es ist so schrecklich ihm dabei zuzusehen, wie er nach und nach abbaut.

Mein Mädchen hat vorgestern ein altes Buch von meinem Großen zerrissen und er weinte „alles kaputt, es ist alles kaputt“ und ich begann mit dem Löwenbaby  im Arm auch zu weinen weil ich dachte „ja, alles kaputt, es ist alles kaputt“. Ich hab den kleinen Kerl ganz auf die Welt gebracht, bis auf dieses eine einzige fucking GALC-Enzym wegen diesem dummen, dummen autosomal rezessiven Gendefekt, den wir ja unbedingt beide haben müssen, der bei jedem 150. vorkommt und bei einem von 100.000 – 150.000 Babies zusammentrifft und Morbus Krabbe macht. An dem kleinen Kerl ist alles dran, bis auf dieses eine einzige Enzym und das macht alles, alles kaputt.

Ja, ich hätte ihn so gerne aufwachsen sehen. Meine Mama sagt immer, er sieht exakt aus wie ich als Baby, bis auf die blauen Augen. Ich hätte gern gesehen, wie er mobil wird, gehört wie er Mama und Papa sagt. Wie er mit seinen beiden Geschwistern spielt. Ich hatte diese Strapaze mit zwei kleinen Kindern, kurzer Altersabstand auf mich genommen weil ich wollte, dass die Kinder miteinander aufwachsen, gemeinsam spielen. Und das tut so verdammt weh, dass alles kaputt ist. Wir wollten evtl. noch ein viertes Kind. Das käme ja jetzt nur noch mit Pränataldiagnostik in Frage. Und ich könnte es nicht abtreiben, wenn es auch die Krankheit hätte. Also käme nur infrage künstlich befruchten zu lassen, nachdem man Morbus Krabbe ausgeschlossen hat. Auf diese Prozedur hätte ich vermutlich null Bock

Wir wollten beide so wahnsinnig gerne eine große Familie. Das ist alles kaputt. Ich bin so gerne Mama, ich hab Kinderlachen so gern. Ich hätte ihn so gern durchs Leben begleitet. Aber alles ist kaputt. Und jetzt sitz ich hier und warte darauf, dass mein Kind stirbt, damit es nicht mehr leiden muß. Mich widert es so an, ihm jeden Tag diese scheiß Medikamente zu geben. Ihm Schleim abzusaugen. Ihm mit der Klistierspritze Flüssigkeit in den Po zu spritzen, damit er nicht austrocknet.

Ach, ich geh besser ins Bett. Hat ja doch keinen Sinn.

wie wenn man kurz vorm Ertrinken ist

30. März 2011

Die Sonne hat gescheint und wir waren draußen. Die Tage sind gerade sehr durchwachsen. Ich weine oft, bin im nächsten Moment wieder total abgeklärt, ohne jede Empfindung. Fühle mich einerseits leer, andererseits fallen mir tausend Sachen ein, die ich unbedingt vorbereiten muß, damit ich sie dann mache, wenn der Tag X war. Dieser hilflose Aktionismus kommt mir andererseits aber so ungesund vor. Fühlt sich so hilflos an, wie wenn man kurz vorm Ertrinken ist und meint, mitten im Meer, hilft einem dieser dumme Rettungsring, aber es ist kein rettendes Ufer, kein Schiff in Sicht und es ist zu kalt, um längere Zeit überbrücken zu können.

Es fühlt sich auch falsch an, für danach zu planen. Es ist überhaupt total pervers, ständig darauf warten zu müssen, dass die Seifenblase platzt, indem der Tag X eintritt, damit man wieder auf dem Boden ankommt und versuchen kann zu leben. Bloß kann man das, was gerade Leben sein soll, in der Seifenblase auch kaum ertragen. Versteht man überhaupt, was ich meine? In meinem hilflosen Aktionismus hab ich gestern meine total verstimmte und unbespielbare Querflöte zum Flötenbauer zur Generalüberholung gebracht.

Dem kleinen Löwen geht es gerade nicht so gut, scheint mir. Er hat schon wieder damit begonnen, seit zwei, drei Tagen und auch wieder stundenweise nachts, sonor vor sich hinzujammern. Hatte vorhin den Eindruck, er hat Schmerzen und habe ein Zäpfchen gegeben. Dann kamen Unmengen an Stuhl und er hat gedrückt, als wäre das was weiß ich was für harter Stuhl. Er kam aber ganz pastig und sehr, sehr weich und hätte keine Probleme machen dürfen. Offenbar scheint er da jetzt auch schon Probleme zu haben. 😦

Hab vorhin per Mail Kontakt zum Kinderarzt aufgenommen, mal sehen, was er antwortet. Er ist herrlich unkompliziert, per Mail kann ich in Ruhe formulieren, was unser Problem ist, er kann ggf. nachfragen (gibt ne Ärztehotline für besonders seltene Erkrankungen, diese Ärzte haben auch eine Palliativausbildung) und dann sehen, wie wir weiter machen.

Heute Nachmittag schauen wir das Hospiz an.