Posts Tagged ‘Tag X’

die Luft ist raus – ein Scheißtag!

13. Mai 2011

Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wie ich reagiere, wenn der Tag X ist. Das ist grad noch so der verschlossene Bereich in meinem Kopf und Herz.

Vielleicht kann man das nicht verstehen, aber immer öfter wenn ich schau, wie er schläft, wünsche ich mir, der Tag wäre da. Gleichzeitig fährt mir ein furchtbarerer Schreck rein, wenn ich nach ihm schaue und er hat so lange Atempausen und atmet so arg flach.

Ich hab Angst vor dem, was noch auf uns zukommt. Jeden Tag schwingt so die Frage mit „was läßt als nächstes nach“? Ich hab Albträume. Es lassen ja alle seine Muskeln nach. Wenn ich ihm sein Wasser klistiere, liegt er ja. Wenn er liegt, kommt ihm gern was aus dem Magen hoch. Ich hab den Kinderarzt schon gefragt, ob es sein kann, dass es ihm was hochdrückt, weil alles durchgängig ist, wenn ich ihm unten Wasser reindrücke. Das schließt er aus. Aber ich träume nachts davon, dass ich unten was reindrücke und oben sprudelt munter sein Mittagessen raus. Wenn ich es grad reindrücke, seh ich es fast hochkommen. Ich halte das nicht mehr aus. Ich laufe am Limit. Ich pack das nicht mehr. Ja, ich will, dass es vorbei ist.

Ich weiß, dass der Tag kommt. Der Tag kann heute sein und es ist vorbei und wir nehmen alle keinen psychischen Schaden mehr. Der Tag kann in ein paar Monaten sein und bis dahin sind wir reif für die Klapse. Mein Großer sagt immer öfter „Mama, ich kann das nicht mehr sehen, wie es ihm schlechter geht!“. Wir gehen hier kaputt.

Er hustet zum Beispiel immer öfter aus dem Nichts heraus plötzlich los. Aber nicht nur ein Huster, sondern wie wenn man ein Husten auf einer CD hört und just in dem Moment bleibt sie hängen. Und er wird dabei immer lauter, wird fast lila. Das haben wir grad zwei, drei Mal am Tag etwa. Mir wäre das liebste, er würde einfach nicht mehr aufwachen. Das wäre friedlich.

Hier ist die Luft raus.

Auf das zurückkommend, was ich eigentlich sagen wollte. Ich bin mit meiner Trauer schon sehr weit. Mein Baby ist kein Baby wie Babies halt so sind. Ich hab mich schon von so vielem verabschiedet. Ich hab schon so viel geweint. Und weine immer noch so viel. Ich denk oft „ach, wir begraben ihn dann und dann ist alles wieder gut“. Ist natürlich Quatsch. Mein Hirn scheint grad auf Notbetrieb umgeschaltet zu haben. Ich träum grad von nem Ausflug in die Therme. Diese Tage zwischen Tag X und Beisetzung würde ich am liebsten aus meinem Leben ausklammern. Irgendwo anders anknüpfen. Ich befürchte das geht nur nicht. Wie ich das überstehen soll, weiß ich noch nicht. Aber auch da tickt die Uhr einfach munter weiter.

Sorry, ist heut wieder ein Scheißtag irgendwie.

Ich hab den kleinen Kerl doch so lieb. 😦

wichtige Impulse zum Tag X

23. April 2011

Meine Hebamme hat uns gestern besucht und hat sich auch noch mit ihren Handabdrücken auf dem Tuch für den Löwen verewigt. Die waren noch ganz wichtig, ihre Hände haben ihn als erstes berührt. Sie hat uns noch einige wichtige Impulse gegeben, wenn der Tag X ist.

Wir wußten nicht, dass wir das Löwenbaby gar nicht aus den Händen geben müssen. Das Wissen ist sehr wertvoll für uns. Wir haben gestern ins Bestattungsrecht reingeschaut und es ist tatsächlich so, dass wir mehrere Ausnahmegenehmigungen einholen können. Der Muck darf ohnehin bis 36 Stunden auch nach seinem Tod bei uns bleiben im Haus und wir können mittels Ausnahmegenehmigung erwirken, dass er bis zu seiner Beisetzung bei uns bleiben kann. In seinem Sarg dürfen wir ihn sogar selbst zum Friedhof zur Beisetzung bringen.

Mein Baby langt niemand anderes an, wenn ich es verhindern kann. Ich hab ihn geboren und unsere Hände werden ihn zuletzt berührt haben. Und nicht irgendein fremder Mensch.

Ich habe mir die letzten Tage viele Gedanken über den Tod gemacht. Ich habe inzwischen gar keine Angst mehr davor. Wenn meine Zeit abgelaufen ist, gehe ich eben zu meinem kleinen Löwenbaby. Ich hatte immer sehr große Angst vor dem Tod. Konnte mir nicht vorstellen, dass die Welt sich ohne mich weiterdreht. Ist wirklich so. Ziemlich von mir selbst überzeugt, hm?

Jetzt gerade sehe ich es so, dass ich noch hier bleiben muß, weil mindestens mein Mädchen und mein Großer mich brauchen. Mindestens zwei gute Gründe und mir fallen auch noch ein paar mehr ein, der Löwenpapa zum Beispiel. Ich bin nicht lebensmüde, aber es sind nur Gründe, die nichts mit mir selbst zu tun haben. Klar haben meine Kinder mit mir zu tun – ach blöd auszudrücken. Ich hoffe, irgendwann ändert sich diese Sichtweise wieder, vielleicht wenn ich irgendwann aus diesem Tal wieder raus bin. Ich würde mich darüber freuen, wenn auch mal wieder was kommt, was mir was bedeutet, so wichtig ist, dass es für mich nicht nur drum geht, meine Kinder durchs Leben zu begleiten, sondern selbst an dem ein oder anderen zu hängen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, irgendwann wieder richtig glücklich zu sein, ganz frei zu lachen. Das ist einfach ein richtig großer Schatten auf meiner Seele. Wenn mein Löwenbaby geht, wird mein Herz brechen. Das kann man nicht mehr kitten.

Der kleine Muck liegt seit gestern nur noch erhöht, auch nachts. Ich vermute, sein Mageneingang schließt nicht mehr sicher und plötzlich schwappt was hoch und es kommt durch seine Nase. Er hat sich schon etliche Male arg verschluckt und schlecht Luft bekommen und ich mußte ihn absaugen. Hab ich schon erzählt? Er kühlt oft furchtbar aus, vor allem nachts. Obwohl er Body, Schlafi, Socken, Schlafsack, zwei Fleece-Babywolldecken, meine Wolldecke, meine dicke Zudecke und ein Fell, auf dem er liegt, hat kühlt er total aus. Vorgestern morgen hatte er nur noch 33,33 °C (rektal). Ich dachte schon, dass Thermometer gibt den Geist auf, aber zwei Stunden später hatte er immerhin schon gute 35 °C, also stimmte das schon. Er fühlte sich auch eisig an sonst hätte ich nie die Idee gehabt zu messen. Seine Temperaturregelung im Gehirn scheint zu spinnen und er bewegt sich ja nicht und hat kaum Muskelmasse. Ist wirklich ein Problem. Er bekommt jetzt wieder Wärmflaschen mit ins Bett…

wie wenn man kurz vorm Ertrinken ist

30. März 2011

Die Sonne hat gescheint und wir waren draußen. Die Tage sind gerade sehr durchwachsen. Ich weine oft, bin im nächsten Moment wieder total abgeklärt, ohne jede Empfindung. Fühle mich einerseits leer, andererseits fallen mir tausend Sachen ein, die ich unbedingt vorbereiten muß, damit ich sie dann mache, wenn der Tag X war. Dieser hilflose Aktionismus kommt mir andererseits aber so ungesund vor. Fühlt sich so hilflos an, wie wenn man kurz vorm Ertrinken ist und meint, mitten im Meer, hilft einem dieser dumme Rettungsring, aber es ist kein rettendes Ufer, kein Schiff in Sicht und es ist zu kalt, um längere Zeit überbrücken zu können.

Es fühlt sich auch falsch an, für danach zu planen. Es ist überhaupt total pervers, ständig darauf warten zu müssen, dass die Seifenblase platzt, indem der Tag X eintritt, damit man wieder auf dem Boden ankommt und versuchen kann zu leben. Bloß kann man das, was gerade Leben sein soll, in der Seifenblase auch kaum ertragen. Versteht man überhaupt, was ich meine? In meinem hilflosen Aktionismus hab ich gestern meine total verstimmte und unbespielbare Querflöte zum Flötenbauer zur Generalüberholung gebracht.

Dem kleinen Löwen geht es gerade nicht so gut, scheint mir. Er hat schon wieder damit begonnen, seit zwei, drei Tagen und auch wieder stundenweise nachts, sonor vor sich hinzujammern. Hatte vorhin den Eindruck, er hat Schmerzen und habe ein Zäpfchen gegeben. Dann kamen Unmengen an Stuhl und er hat gedrückt, als wäre das was weiß ich was für harter Stuhl. Er kam aber ganz pastig und sehr, sehr weich und hätte keine Probleme machen dürfen. Offenbar scheint er da jetzt auch schon Probleme zu haben. 😦

Hab vorhin per Mail Kontakt zum Kinderarzt aufgenommen, mal sehen, was er antwortet. Er ist herrlich unkompliziert, per Mail kann ich in Ruhe formulieren, was unser Problem ist, er kann ggf. nachfragen (gibt ne Ärztehotline für besonders seltene Erkrankungen, diese Ärzte haben auch eine Palliativausbildung) und dann sehen, wie wir weiter machen.

Heute Nachmittag schauen wir das Hospiz an.

das große Loch frißt einen auf

27. März 2011

Die letzten Tage sind sehr durchwachsen. Die erste Schockphase nach der Diagnose ist gewichen, aber nun müssen wir uns mit vielen anderen Dingen befassen, die neue Schockstarre nach sich zieht. Uns beschäftigt viel das Thema „Tag X“ und das, was danach kommt. Zwischendrin planen wir noch die Taufe, die heute in einer Woche stattfindet. Wie pervers ist das eigentlich?

Wir durchleben gerade so ein auf und ab. Einmal fühlt man sich so verdammt abgeklärt und kann gar nicht weinen, ist kaum dazu in der Lage, Gefühle zu empfinden und fühlt sich so neben sich. Im anderen Moment kommt das große Loch und frißt einen auf.

Ich habe gerade sehr große Angst vor dem Moment, wo ich ohne ihn bin. Ich weiß gar nicht, was ich dann mit meinen Armen machen soll. Mir graut davor, ich kann den Gedanken kaum ertragen. 😦

Am Freitag waren wir ja beim Kinderarzt, einfach ein wenig zu besprechen, wie es weitergeht, wie wir was angehen. Wir kamen auch aufs Thema Urlaub zu sprechen. Wir wollen nicht unbedingt nach Dänemark, weil wir so nen geilen Urlaub gebucht haben, sondern wir wollen den kleinen Löwen mal in den Sand und das Meerwasser stellen. Unser Arzt fragte, wann wir denn vorhaben zu fahren und Anfang August schien ihm etwas weit weg, ob wir die Reise nicht vorziehen können. Letztlich bestätigte er, was wir sehen. Der Löwe wird immer ruhiger, schläft immer mehr und wir haben den Eindruck, er baut zusehends immer mehr ab und ist schon weit weg. Er meinte, vielleicht fahren wir aber auch im August zum Auftanken in den Urlaub, es sei auch wichtig daran zu stricken, wie unser Leben danach weiter geht, wir sollten nicht nur bis zum Tag X denken, sondern auch darüber hinaus. Ja, er hat recht, das gibt Halt.

Ich möchte nächste Woche ein feines, dünnes Leinentuch kaufen. Ich hab schon Fingerfarben gekauft und möchte, dass jeder der mag, an der Taufe seine Handabdrücke drauf macht. In die Mitte möchte ich „Wir tragen Dich…“ schreiben. Darauf möchte ich ihn betten, wenn wir ihn zurückgeben müssen. So wird er von seiner ganzen Familie getragen und ist nicht allein.

Wir wollen nächste Woche auch zu einem Bestatter. Wir wollen uns Menschen aussuchen, die uns liegen und die gut mit uns umgehen. Wir wollen uns in diesen Stunden nicht mit Menschen auseinandersetzen müssen, die unsere Gefühle mit Füßen treten. Wir wollen uns in diesen Momenten verstanden fühlen. Wir wollen für uns abklären, wie alles ablaufen wird, um Sicherheit zu gewinnen. Ich brauche diese Sicherheit, ich brauche das fertige Paket in der Schublade, um wieder ruhiger schlafen zu können. Mich belastet das alles sehr und ich muß mich zwanghaft darum kümmern, mich damit beschäftigen um sowas wie inneren Frieden zu erlangen. Wir wollen das Löwenbaby dann erstmal noch bei uns zu Hause haben, Hand- und Fußabdrücke zur Erinnerung machen. Er hat seine Hände ja immer so fest zu und ist so verspannt, dass das kaum möglich ist. 😦

Wir wollen unserer Familie auch die Möglichkeit geben, sich hier zu Hause in Ruhe von ihm zu verabschieden. Wir wollen dann auch den Sarg mit unseren Handabdrücken verzieren. Dann ist er schön bunt und wir tragen ihn mit so vielen liebenden Händen.

Ich liebe dieses kleine Menschenkind so sehr. Mein kleines Löwenbaby. Ich habe Angst, dass es mein Herz bricht, wenn er mich verlässt. Ich sammle seine Wimpern und Haare, die er verliert. Aber seinen Duft kann ich nicht einfangen. Ich habe Angst zu vergessen, wie sich seine feine Haut anfühlt, wie seine wunderschönen blauen Augen mir zuklimpern. Er hat so eine wunderschöne Haarfarbe, die Kombination dieser blauen Augen mit den wunderschön kaffeebraunen Haaren fand ich schon immer toll.

Ein einziges fehlendes Enzym macht alles kaputt. Ich glaub das einfach nicht und denke oft, das ist nur ein total bescheuerter Traum, vor allem wenn er gerade so süß in meinem Arm liegt und schläft.

Morbus Krabbe ist ein Schwein.