Posts Tagged ‘Wünsche’

Sonne zwischen dunklen Wolken

3. Oktober 2012

Sonnenstrahlen zwischen vielen Wolken

Die Tage sah es so auf dem Heimweg aus. Und so oder so ähnlich fühlte ich mich auch. Einerseits sind da viele dunkle Wolken, die gern mal plötzlich zu regnen beginnen. Wenn man nicht damit rechnet oder es gerade gar nicht brauchen kann. Andererseits schiebt sich plötzlich wieder die Sonne dazwischen und zaubert ein wundervolles Bild und für den Moment macht sich sowas wie Hoffnung breit. Aber irgendwie sieht alles ein wenig bedrohlich und nicht sonderlich vertrauenserweckend aus.

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Ich sagte gestern Abend zum Löwenpapa, dass unser Leben einfach nicht mehr in Ordnung ist. Wie glücklich ich war, als Johannes geboren war. Die ersten Tage mit ihm. Wochenbett, meine Kinder im Arm, auf der Bettkante, der Löwenpapa daneben. Es war so etwas Vollkommenes. Vollkommenes Glück. So greifbar. So besonders.

Ich schrieb einmal, dass mit der Diagnose unser Leben in eine große Kiste geworfen wurde, Morbus Krabbe dazu, Deckel drauf und schütteln, schütteln, schütteln. Alles auf den Boden werfen und: „Jetzt macht was damit.“ Und dann sitzen gefühlt alle da und versuchen zu defragmentieren. Und man wägt ab, ob man nach Formen, oder vielleicht doch nach Farben sortiert? Und man fängt an zu sortieren, denkt so geht es, dann scheint es aber anders doch besser und man schmeißt wieder alles durcheinander und fängt von vorne an. Aber halt auf die andere Art und Weise.

Irgendwie kommt es mir so vor, als wären wir immer noch am defragmentieren. Wir saßen nun schon eine Weile am Sortieren und warfen immer wieder alles zusammen, um es anders zu machen und trotzdem paßte es irgendwann nicht und man begann von Neuem.

Werden wir es irgendwann sortiert bekommen? Bekommen wir irgendwann unser Lebens-Chaos/Chaos-Leben wieder in Ordnung?

Hechten wir noch unseren Idealen nach ohne zu überprüfen, ob es noch unsere Ideale sind? Oder die des Einzelnen?

Ich hatte früher sehr konkrete Vorstellungen von meiner Zukunft. Wünsche, auch Träume. Ich krieg das nicht mehr hin. Wenn mich früher wer gefragt hat, wo ich mich in einem halben Jahr, einem Jahr, in fünf Jahren sehe, hätte ich sofort eine Antwort parat gehabt. Fragt man mich heute, weiß ich nicht mal mehr, was nächstes Woche um diese Zeit ist. Es fällt mir so schwer, mich auf Wünsche und Träume einzulassen. Welche zu entwickeln. Darauf zu vertrauen, dass sie in Erfüllung gehen könnten!

Könnten sie tatsächlich in Erfüllung gehen? Warum sollten sie? Warum sollten sie nicht? Ja, warum sollten sie nicht? Weil ich es schwieriger finde, dass etwas klappt, als das es nicht klappt. Das etwas in die Hosen gehen kann ist viel wahrscheinlicher.

Über sowas hab ich mir früher nie Gedanken gemacht. Ich dachte immer, es wird schon irgendwie gehen. Und dann ging es nicht. Nicht mal irgendwie. Es ging einfach nichts mehr.

Nachdenkliche Grüße

die Löwenmama

Smalltalk

2. Juli 2012

Man überlebt ganz gut. Eigentlich ist alles ok so gut wie es sein kann.

Und dann kommt wieder so ein Moment. Dann passiert es. Eine Situation, die einen wieder völlig überfordert. Eigentlich einfach nur ein Stück des ganz normalen Lebens, das man vorher gelebt hat. Selbstverständlichkeiten, die nicht mehr selbstverständlich sind. Man rechnet gar nicht damit.

Und es fühlt sich an, als sei Johannes eben noch einmal gestorben.

Diese Hilflosigkeit ist wieder da. Diese Unerträglichkeit der Zeit. Sie scheint still zu stehen. Diese körperliche Unruhe treibt einen schon wieder um, die Gereiztheit ist zurück und es geht schon wieder nur darum, diesen einen verdammten Tag zu überleben um zu fühlen, ob der nächste Tag sich noch genauso unerträglich anfühlt oder ob es schon ein bißchen besser ist.

Man fühlt sich so zurückgeworfen. So unfähig am normalen Leben teilzunehmen. Ein bißchen außerirdisch vielleicht. Und man fragt sich: Wird es jemals anders? Kann man das irgendwann wieder?

Es war ein wunderschönes Sommerfest. Sehr mühe- und liebevoll vorbereitet von den Gastgebern. Viele Mensche, die man schätzt und gerne ein paar Worte mit ihnen wechselt. Lange nicht gesehen hat. Ein ganzer Haufen Kinder. Sonne. Lachen. Alles da, um glücklich zu sein.

Und da ist er, der verdammte Smalltalk. Und ich kann es so gut verstehen, so gut nachvollziehen. Respekt und Danke an die, die mit uns gesmalltalked haben.

Smalltalk ist sowas übliches. Und sowas leichtes. Und doch so schwer. Über was smalltalked der Mensch? Über die Arbeit, die Familie, Kinder!!, den Urlaub, irgendein x-beliebiges T’hema und vielleicht aus purer Verzweiflung noch das Wetter.

„Und, wie schmeckt das Arbeiten?“ „Wie geht`s voran am Bau?“ „Diese Hitze heute ist krass, ich hoffe, dass es kein Unwetter gibt während des Festes.“

Ein paar Mutige haben gefragt, wie es uns geht. Ich fürchte diese Frage inzwischen, wenn ich weiß, derjenige weiß eigentlich gar nicht, was bei uns los war. Hat nur mitbekommen, dass unser Johannes gestorben ist. Weiß nicht, woran. Weiß nicht, wie wo was. Vermutliches wird dieses Gespräch nicht über Smalltalk hinausgehen. Dafür taugt dieses so sensible Thema nicht. Also lügt man und sagt „gut“ oder „paßt schon“. Floskelt so vor sich hin.

Und ich für mich spürte, ich bin für solche Veranstaltungen (noch) nicht (mehr?!) gemacht. Zog mich zurück. Mied Blickkontakt. Mied Smalltalk. Denn für die Stolpersteine der anderen bin ich nicht bereit. „Ah, Deine Frau ist schwanger, ihr bekommt ja wieder ein Baby! Wißt ihr schon, was es wird?“ oder was in der Art.

Smalltalk ist mir ein Graus, aber ich verbuche ihn unter notwendiges Übel. Übergrenzwertig wurde es, als mein Mädchen mit den anderen Kindern zu spielen begann und ich dabei saß, um sie im Auge zu behalten. Es waren Kinder in Johannes Alter, also so alt wie er jetzt wäre, dabei. Als sie mit einem kleinen Mädchen spielte, konnte ich meine Tränen kaum verbergen. Ich kannte die Mutter des Kindes nicht und lächelte mehr gezwungen, antwortete zurückhaltend, stellte keine Gegenfragen. Klar, auch hier holt mich natürlich dieser dumme, dumme Smalltalk wieder ein. „Und, wie alt ist Deine Kleine?“ „Wie heißt sie denn?“ etc. pp

Ich hatte keine Lust zu fragen, wie ihre Kleine heißt. Und ich wollte auch nicht wissen, wie alt sie ist. Sie empfand mich sicher als unhöflich, arrogant, verschroben, oder einfach nur doof. Weil sie antwortete, obwohl ich nicht fragte und mit „ah, schön“, „aha“ antwortete und auch alle anderen Bemerkungen „ach, das hat sie von ihren größeren Geschwistern, sie ist das Kleinste“ ignorierte oder sehr kurz angebunden kommentierte.

In mir schrie es „ich will hier weeeeeeg!“ aber mein Mädchen kam der Aufforderung zu gehen, nur sehr zögerlich nach. Und ich fühlte mich auch schlecht deswegen, weil sie sich so freute, einen Spielkameraden zu haben. Und ich kann es so verstehen. Und dann soll sie aufhören zu spielen, weil Mama warum auch immer gehen will. Blöd.

Ich sehe Johannes dort statt des Kindes mit meinem Mädchen spielen. Aber Johannes ist tot. Johannes spielt nicht mit ihr. Das war aber der Plan. Und ich fühle mich fassungslos hilflos. Klage an. Kämpfe mit den Tränen. Spüre diesen körperlichen Schmerz als würde man mich schlagen, immer härter.

Und dann ist sie wieder da, diese Taubheit. Diese Unruhe. Die Unerträglichkeit. Die Zeit, die scheinbar still steht.

Und es fühlt sich an, als wäre er soeben noch einmal gestorben.

 

 

Bügelperlen haben etwas meditatives. Und sie sind herrlich bunt. Und schwupps, schon kam da was angehüpft…

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Viele Grüße

die Löwenmama

 

Wenn man Liebe stapeln könnte, würde ich eine Himmelsleiter bauen.

30. Juni 2012

Wir hatten letztens einen wunderschönen Regenbogen. Ich saß draußen und wünschte mir, drüberlaufen zu können. Kommt man dann dorthin? Wohin ist das? Kommt man wieder zurück?

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Irgendwann schrieb ich mal: „Wenn man Liebe stapeln könnte, würde ich eine Himmelsleiter bauen“.

Das war mein Empfinden, als ich diesen Regenbogen sah…

Es grüßt herzlich

die Löwenmama

Amputierte Mamaliebe

7. Mai 2012

Seit Tagen verspüre ich es – so ein großes Verlangen nach Babyduft. Nach kleinen weichen Füßchen und nach Patschehändchen. Nach so schmusigen Babybacken und duftigem, fusseligem Haar. Ein kleines Köpfchen, das an der Fontanelle so herrlich duftet.

Ich dachte, ich habe Kinderwunsch. Aber mir wurde klar, nicht nach irgendeinem Baby.

Ich will nur Johannes.

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Johannes ganz frisch geschlüpft im ersten tiefen Schlaf. Willkommen auf der Welt, kleiner Mann!

 

Ich hatte doch diese Patschehändchen – auch wen sie nie gepatscht haben. Hatte diesen Wunsch, wir beide, der Löwenpapa und ich. Haben alles auf uns genommen. 10 lange Mondmonate lang wuchs er unter meinem Herzen. Dann die Schmerzen der Geburt. Alles egal. Der Duft dieser kleinen, weichen Haut, das Bestaunen eines so kleinen, wunderbaren Wesens. Mit den Lippen ganz sanft diese schmusige Kuhle an seiner Nasenwurzel küssen. Das nicht mehr zu haben, obwohl man es hatte, alles dafür getan hat. Alles dafür getan hätte, was man nicht mehr tun konnte. Das ist amputierte Mamaliebe.

Ich würde sehr gerne irgendwann nochmal so ein kleines Wunder erleben dürfen. Aber ich bin noch nicht frei dafür. Und ich weiß nicht, ob ich es jemals werde. Frei zu sein für dieses „irgendeine Baby“, das nicht Johannes sein wird. Und ich weiß nicht, ob ich den Mut aufbringen würde.

Wie hoch ist der Preis für so eine Schwangerschaft? Es könnte wieder krank sein. Dann würde ich es nicht bekommen. Das ist eins, was ganz sicher ist. Davon würde ich mich auch von niemandem verurteilen lassen. Denn die, die den Finger ausstrecken würden, hätten es nicht erlebt. Es könnte auch alles gut gehen. Aber es wären so viele Wochen, bis man etwas wüßte. Viele, viele Wochen. Das muß man auch er-tragen können. Es würde mich ver-rückt machen. Ver-rückt vor Angst. Könnte mich nicht daran freuen. Schwanger auf Probe. Oder doch einfach nen Haken drunter machen? Es aus dem Kopf schlagen? Da steht das Mamaherz wieder im Weg.

Was ist richtig? Was ist falsch? Ich weiß nur, dass sich grad vieles falsch anfühlt. Vor allem amputierte Mamaliebe.

Es grüßt euch

die Löwenmama

Grell, bunt, laut – und so stumpf.

17. April 2012

Ja, so stellte ich mir unseren Aufenthalt in London vor. Grell, bunt und laut. Und so war es dort irgendwie auch. Aber ich empfand es als so stumpf. Ich brauchte eine Weile, bis ich das Gefühl als solches überhaupt ausmachen konnte, bis ich für mein sich blöd anfühlendes Empfinden Worte fand. Wir stellten fest, es ist für uns beide so. Und ich brauchte ein bißchen Zeit, um die richtigen Worte dafür zu finden und ich weiß nicht mal, ob ich beschreiben kann, wie es sich anfühlte.

Es fehlte – dieser Enthusiasmus. Man hat die Kinder gut versorgt zu Hause gelassen und weiß, wir haben Zeit für uns. Zeit für die Partnerschaft. Eine riesengroße und richtig geile Stadt lockt und wir können alles tun, was uns in den Sinn kommt. Alles ausprobieren, es so richtig rocken lassen.

Und dann ist man dort. Mit dem Kopf vielleicht noch nicht ganz angekommen, aber spätestens beim ersten Knaller kommt dieses Gefühl, dieses „ach wie geil, schau doch, Wahnsinn„… und das fehlte. „Ach ja, das ist nett. Wow, stark“. Sehr verhalten. Nicht dieses „cool, was schauen wir uns als nächstes an“ nach der Karte kramend und schon halb in der U-Bahn stehend. Eher dieses „da fehlt der Knaller, haben wir schon alles gesehen?“-Gefühl und „ok, was könnten wir als nächstes machen…“. Und dann fährt man halt und erlebt es ganz ähnlich.

Es fühlte sich alles dumpf an und mir wurde am dritten Tag klar, warum. Im Alltag funktionieren wir wunderbar. Alles ist festgelegt von außen durch Dienstpläne, Stundenpläne, Busfahrpläne, Trainingspläne, Spielpläne, … man hat seine täglichen „do`s“ und macht einfach sein Ding. Und plötzlich steht man da in blinke-blinke London, hat alle Zeit der Welt, wird regelrecht erschlagen von allen möglichen Eindrücken und soll es richtig rocken lassen. Und man wartet und wundert sich, fragt sich was mit einem los ist und dieser Funke springt verdammt nochmal einfach nicht so richtig über.

Da ist sie dann, diese Trauer, die im Alltag nicht so richtig Zeit hat rauszukommen. Wo man denkt, man ist so weit und man ist es nicht. Man ist nur weit weg davon. Aber nicht weit gekommen. Versteht ihr, was ich meine?

Diese paar Tage Auszeit haben mich überrumpelt. Haben mich vor die Herausforderung gestellt, nicht nur zu funktionieren, sondern aktiv zu sein. Einfach „ich“ zu sein. Und ich konnte es nicht gut. Es gelang mir irgendwie nicht.

Ich schrieb einmal, das die Welt seit des Löwen Tod nicht mehr so bunt ist, wie sie einmal war. Und das meine ich wirklich so, wie ich es schreibe. Wortwörtlich. Ich kann es gar nicht anders beschreiben. Sie ist blasser. Einfach nicht mehr so bunt. Und das war in London, in diesem lauten, grellen, bunten, blinkenden London so deutlich spürbar.

Da ist es wieder dieses Thema mit der Freude. Mit dem fühlbaren Glück. Sich nicht mehr so sprühend über etwas freuen können. Vielleicht fühlt sich dann einfach auch so ein London-Trip so an. Das man einfach lernen muß, dass es anders ist. Es war ja nicht schlecht in London. Es waren schöne Tage, sehr wertvolle Zeit mit meinem Mann. Besondere Augenblicke und Eindrücke die einen bereichern. Aber der Fokus ist ein anderer. Unsere Erwartungen waren es, die sich anders anfühlten. Vielleicht müssen wir das neu lernen.

London mit meinen Augen:

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Mit anderen Augen habe ich eine Holocaust-Ausstellung gesehen. Ich fand mich zum ersten Mal in der Opferhaltung wieder. Man betrachtet so eine Ausstellung mit Widerwillen, mit Abscheu, ist erschrocken, vielleicht treten einem auch Tränen in die Augen. Man ist angeekelt und angewidert und kann gar nicht verstehen, was da damals mit den Leuten passiert ist. Zumindest ich empfinde solche Ausstellungen und beobachte ähnliche Reaktionen bei Umstehenden.

Ich fand mich vor einem Glaskasten wieder. Da lief ein Propaganda-Video. Menschenmenge, Nahaufnahmen und jeder vierte Mensch war ein Behinderter. Im Hintergrund eine Stimme: „Wenn wir jetzt nicht eingreifen, wird das unsere Zukunft sein. In 50 Jahren ist jeder vierte ein Behinderter, Seite an Seite mit unseren Kindern. Wollen wir das? Davor müssen wir uns schützen.“ (nicht exakter Wortlaut, aber sinngemäß und so ähnlich wie ich es halt noch im Kopf habe)

Im Glaskasten lagen Bücher wie „Gattenwahl“ und „Rassenlehre“ aus und ein Buch war aufgeschlagen. Gezeigt wurde anhand von Bildern, wie man Sterilisationen medizinisch durchführt. Zwangssterilisationen. Und mir wurde schlagartig klar, ich wäre damals ein Opfer gewesen. Man hätte mich zwangssterlilisiert. Und den Löwenpapa auch. ZWANGSSTERILISIERT! Wegen unseres Genschrotts. Den Morbus Krabbe kannte man damals ja schon…

Ich tat mir schwer damit. Diese Gedanken daran, wie die das mit mir, mit uns gemacht hätten. Man kann diese Gedanken nicht einfach beiseite schieben. Mir stiegen die Tränen in die Augen, meine Wangen waren heiß. Was hätten sie mit meinem kleinen Löwen gemacht? Wieder die Stimme: „Wir pflegen sie liebevoll, aber wir wollen sie nicht und werden mit aller Macht verhindern, dass sie geboren werden.“ (sinnentsprechend, kann den Wortlaut nicht genau widergeben)

Mein kleiner Löwe, den wir geliebt haben bis zum letzten Moment und immer noch so sehr lieben. Den wir randvoll angefüllt haben mit Liebe und Streicheleinheiten. Nicht weiterdenken will ich. Gedanken bremsen, stoppen. Geht nicht gut. Raus hier. Zu viel.

Viele Gedanken habe ich mitgebracht von dieser London-Reise. Es lebt sich gerade nicht locker leicht. Ich bin nachdenklich, hinterfrage mein bisheriges Leben, fühle als hätte ich so viel falsch gemacht. Nie was richtig gemacht. Nie was fertig gemacht. Als wäre alles so viel schief gelaufen. Ist es natürlich nicht, aber rückblickend frage ich mich, warum das so ein gefühltes Durcheinander ist. Auch wenn es schon ok ist, so wie es ist. Aber ich hätte es mir anders vorgestellt.

Mit 22 Jahren ungeplant schwanger geworden (Wunschkind zum falschen Zeitpunkt 😉 ). Kein Beinbruch, Ausbildung beendet, ein Jahr gearbeitet und eigentlich begann es gerade richtig Spaß zu machen. Geheiratet. Aber im Leben ist wie es ist und zuweilen geht man plötzlich ganz andere Wege.

Ich freute mich und genoss es Mutter zu sein. Drei Jahre war ich zu Hause, die Ehe ging in der Zeit in die Brüche und ich war alleinerziehend. Dann eine neue Liebe und 2008 wurde unser Mädchen geboren. Perfekt! Sie war unser Hochzeitsnachtsbaby. Im Auto auf dem Weg ins Geburtshaus geboren. Merkt ihr? Immer Grenzgänger.

Alles sollte so sein und wir waren so glücklich. Wieder hatte ich aufgehört zu arbeiten, Elternzeit. Die Zeit mit den Kindern mitnehmen, genießen. In sich aufsagen, dieses ganze Glück! Ich hatte beruflich ein bißchen was erreicht und weil ich es dieses Mal richtig machen wollte und wir noch ein Kind wollten (ich bin eine Vielkindmama, ich liebe Kinder und wollte ganz viel Kinderlachen um den Tisch) und wir einen kurzen Altersabstand toll fanden, haben wir es wieder gewagt.

Ich wußte, es wird streßig. Ich wußte, das wird knackig, bis das jüngste Kind vielleicht ein Jahr ist. Dann wird es leichter. Alle Strapazen auf mich genommen. Es war so ein scheiß heißer Sommer und ich trug Kompressionsstrümpfe. Nicht selten schwitzte ich so sehr, dass ich sie nach der Toilette nicht mehr hoch bekam. Trug meine Kleine viel und stillte. Und sagte mir immer, „wenn das Baby da ist und Du es im Arm hälst, weißt Du für was Du das getan hast“.

Für was? Frage ich mich heute. Das ich Kerzen auf den Friedhof trage? Spießrutenläufe im Supermarkt hinter mich bringe, weil die süßen kleinen Zwerge vorne im Einkaufswagen sitzend mich so süß angrinsend? Weil ich meinen Johannes dann da sitzen sehe, so wie ich gedanklich irgendwann irgendwo hängen geblieben bin, wie er jetzt wohl sein würde?

Aber weiter in meiner Gedankenschleife. Alles richtig machen wollte ich ja. Logisch planen. Erst noch ein Kind bekommen und dann wieder arbeiten gehen. Und wieder machte mir das Leben einen Strich durch die Rechnung. Mein Baby ist tot. Jetzt habe ich wieder angefangen zu arbeiten. Arbeite mich wieder neu ein. Es macht Spaß. Sehr viel Spaß sogar. Ich bin richtig gefordert. Die Einarbeitung ist anstrengend. So viel vergessen, so viel neu und anders. Aber fange ich jetzt wieder an zu arbeiten und schmeiß dann alles erneut hin, weil wir uns vielleicht doch nochmal für ein Kind entscheiden? Welche Möglichkeiten hätten wir überhaupt? Die genetische Beratung steht noch aus. Oder lassen wir es einfach? Will ich überhaupt? Trau ich mich? Ich hab Angst! Wo bleibe eigentlich ich?

Oder arbeite ich, mach im Job mein Ding, gebe meiner Angst nach und bereue es irgendwann? Das ich zu feige war und Glück verschenkt habe? Das ich nicht das gemacht habe, was mir wirklich wichtig war im Leben?

Was ist heute? Was ist morgen? Mein Urvertrauen ist ein einziger Schrotthaufen geworden. Früher dachte ich mir, „das krieg ich schon irgendwie hin, das fügt sich schon irgendwie, …“. Heute hadere ich mich, kann nichtmal bei den simpelsten Sachen darauf vertrauen, dass das schon rutschen wird. Stelle alles in Frage, traue mir viel weniger zu und das bremst so sehr. Das ist so anstrengend.

Ich traue mich nicht mehr zu träumen, weil das Ende offen ist. Das war es vorher auch, aber weil man darauf vertraute, dass es schon irgendwie klappen wird, konnte man sich diese Bilder bunt und fröhlich ausmalen, die Träume leben. Und das machte so viel Spaß auch wenn viele Träume Träume blieben.

Jetzt plane ich zwar, gehe aber sehr verhalten an Pläne ran. Es könnte ja jede Sekunde schief gehen. Ich arbeite sie ab, aber leben tu ich Träume erst, wenn sie keine mehr sind. Wenn der Plan aufging und das Geplante umgesetzt werden konnte, wird es gelebt. Aber die bunten Stifte zum Ausmalen der Träume sind verschwunden. So macht träumen keinen richtigen Spaß. Lernt man das wieder? Oder bin ich jetzt einfach verkorkst?

Oder doch ver-rückt auf Lebenszeit.

Eine Falte hab ich bekommen. Eine Falte des Lebens. Auf der Stirn zwischen den Augenbrauen. Eine Sorgenfalte hat sich tief eingegraben. Meine Johannes-Falte nenn ich sie inzwischen. Ich mag sie. Sie zeigt, ich lebe.

Es grüßt mal wieder aus einem wirren Gedankenchaos

die Löwenmama

Heute vor einem Jahr – Das Palindrom

11. Februar 2012

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Heute vor einem Jahr. Das Palindrom. Sogar fast perfekt – 11.02.2011 – 10.10 Uhr Hätten wir den Termin um 10.01 Uhr gehabt, wäre es so richtig perfekt gewesen, das Palindrom.

Aber es sollte gar nichts perfekt sein.

Heute vor einem Jahr hatten wir Hoffnung. Wir waren emotional schon so tief gefallen, hatten schon Gefühlsabgründe durchlebt. Schon so viele verzweifelte Tränen geweint. Schon so viele Horrorszenarien in Gedanken entwickelt und hoffnungsvoll verworfen, denn die Hoffnung stirbt zuletzt. So viele Anker geworfen. So viel Positives gesehen, dass es gar nicht so schlimm kommen kann.

Heute vor einem Jahr war dieser mit größter Nervosität erwartete Termin im SPZ. Es war gefühlt so ein alles entscheidender Termin. Wie erwartet kamen wir genauso schlau wie vorher und einem Haufen Anschlußtermine wieder raus.

Mitgenommen haben wir uns damals, dass der Ultraschall vom Kopf gut war. Alles so, wie es sein soll, außer ein wenig vergrößerte, wassergefüllte Hohlräume, die vielleicht auch Einstein hatte. Und das er kognitiv normal entwickelt scheint und die motorische Eingeschränktheit ihn ganz massiv ärgert. Ob die Ärztin wohl schon die Streckspastiken als solche erkannt hatte?

Der kleine Löwe hatte sich so durchtbar aufgeregt, so viel geweint. Dass die Reflexe nicht auslösbar waren schoben wir darauf. Die ängstliche Frage, ob es wegen seines vielen Weinens sei, dass das Beinchen nicht nach oben schnellt, obwohl sie es immer und immer wieder versuchte, wurde mit „ja, wahrscheinlich“ beantwortet und wir schluckten es, dachten nicht mehr weiter darüber nach. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Das Positive aufnehmen und bewerten. Vielleicht ist das eine tolle Schutzfunktion unserer Seele. An das Gute glauben – denn die Hoffnung stirbt zuletzt.

Heute wissen wir, dass seine Schutzreflexe nicht mehr funktionierten, weil der Morbus Krabbe schon daran genagt hatte. Er konnte es nicht mehr. Das tut so weh. Aber ich bin froh, dass wir es damals nicht überbewertet haben. Die Zeit, bis wir fünf Wochen später die Diagnose hatten, war lang genug. Hat uns genug zermürbt. Der Morbus Krabbe hat auch an unserer Seele genagt. Und das nicht zu knapp.

Hätte man mir damals gesagt, dass der Löwe heute schon lang nicht mehr da ist… ich weiß nicht, was gewesen wäre. Ich hätte das nicht ertragen. Der Mensch ist schon ein komisches Ding. Man wächst offenbar wirklich in alles rein. Was für ein genialer und doch so fehlerhafter Einfall wie doch sind.

Heute vor einem Jahr. Was für ein Scheißtag!

Es grüßt euch

die Löwenmama